80. Wiederkehr der Pogromnacht
Im Hinblick auf die momentane Diskussion über das Gedenken in Neustadt (Hessen) anlässlich der 80. Wiederkehr der Pogromnacht erklärt Bürgermeister Thomas Groll:
„Seit zehn Jahren führt die Stadt Neustadt (Hessen) regelmäßig Gedenkveranstaltungen zu bedeutsamen Ereignissen und Persönlichkeiten der deutschen Geschichte durch. Dabei wurden die dunklen Stunden der Historie unseres Landes natürlich nicht ausgespart. So befassten wir uns bereits 2008 mit den Geschehnissen der Pogromnacht von 1938, thematisierten 2014 das 80 Jahre zuvor vom Reichstag beschlossene Ermächtigungsgesetz der Nazis und den Widerstand von Sozialdemokraten und Gewerkschaften hiergegen, gedachten der Opfer des 20. Juli 1944, erinnerten 2015 an das Ende des II. Weltkrieges mit seinen Millionen Opfern und rückten im selben Jahr die Vertreibung und ihre Folgen in den Fokus der Betrachtung.
Für mich ist es daher selbstverständlich, auch 2018 wieder der Pogromnacht zu Gedenken. Die Zerstörung der Synagogen, die Entrechtung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und deren millionenfache Ermordung in den Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Deutschlands dürfen auch dann nicht in Vergessenheit geraten, wenn die Tätergeneration nicht mehr lebt. Der Religionsphilosoph Pinchas Lapide hat Recht, wenn er einst sagte, dass ein Volk, das seine Vergangenheit vergisst, dazu verdammt sei, sie zu wiederholen.
Hinsichtlich einer Gedenkveranstaltung zum 9. November stehe ich in Gesprächen mit der jüdischen Gemeinde Marburg, die ich gebeten habe, sich daran zu beteiligen. Monika Bunk, deren zweite Vorsitzende, hat in diesem Zusammenhang angeregt, die Martin-von-Tour-Schule, als „Schule gegen Rassismus“, einzubeziehen und auch über das Judentum heute in unserem Land zu informieren. Beides finde ich folgerichtig.
Im Zusammenhang mit der Pogromnacht 1938 und der nachfolgenden Ermordung auch zahlreicher jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Neustadt und Momberg wurde vor Jahresfrist angeregt, über „Stolpersteine“ oder eine Gedenktafel nachzudenken. Diese beiden Formen der Erinnerung haben ein Für und Wider. Die „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Dening wurden schon in vielen Kommunen verlegt. Sie sind nicht unumstritten. Beispielsweise lehnt Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, die „Stolpersteine“ vehement ab. Sie findet es „unerträglich, die Namen ermordeter Juden auf Tafeln zu lesen, auf denen mit Füßen herumgetreten werde.“ (Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010). Eine Stimme, die man in diesem Zusammenhang bedenken sollte.
Persönlich bin ich hin und hergerissen, welche Form des Gedenkens die richtige ist. Dabei gelten für mich folgende Prämissen:
- Die Art der Erinnerung muss würdig sein;
- Sie sollte an zentraler Stelle der Kommune stattfinden und nicht abseits. Die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger lebten in Mitten unserer Kommune, daher sollte ihnen dort auch gedacht werden;
- Es darf sich um kein bloßes Alibi handeln, sondern muss mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Thematik einhergehen;
- Die Erinnerung an 80 Jahre Pogromnacht sollte von der breiten Stadtgesellschaft mitgetragen werden und keinen Streit und Ablehnung hervorrufen.
Ich setze darauf, dass die Thematik unter den Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung gemeinsam mit dem Magistrat besprochen wird und man eine konsensfähige Lösung erarbeitet. Dabei werde ich mich einbringen. Im Haushaltsplanentwurf sind 3.000 Euro hierfür eingestellt. Ich denke, es herrscht Konsens über das Ob, wir müssen nur das Wie und Wo beraten.“