„Eure Gunst, unser Streben!“
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
„Was ich dir sagen will, fällt mir so schwer.
Das Blatt Papier vor mir bleibt weiß und leer.
Ich find' die Worte nicht …“
Diese drei kurzen Zeilen geben treffend meine Gefühlslage am letzten Samstagabend wieder. Es ist wieder Zeit für die nächste Kolumne, aber mir fällt irgendwie (noch) nichts Rechtes ein, was ich in den Computer tippen könnte.
Natürlich, manche Themen liegen geradezu auf der Hand:
- Die Dynamik, die das Corona-Virus gegenwärtig in vielen europäischen Ländern wie etwa Frankreich, Spanien, Großbritannien, Österreich oder Tschechien entwickelt. Die dortigen Regierungen ziehen die Zügel wieder an und erlassen Restriktionen für den Alltag.
Die in Deutschland nun wieder deutlich ansteigenden Fallzahlen. Sicher, wir haben die Lage augenscheinlich im Griff und ein zweiter bundesweiter Lockdown steht derzeit nicht zur Debatte, aber es ist durchaus damit zu rechnen, dass es auch bei uns regional wieder zu Einschränkungen kommen wird. Wir müssen „irgendwie“ über Herbst und Winter kommen und zugleich darauf setzen, dass im kommenden Jahr dann ein Impfstoff zur Verfügung steht. Dazu ist es aber notwendig, dass wir alle die AHA-Regel – Abstand, Hygiene, Alltagsmaske – nach wie vor beherzigen. Viele von uns – auch ich – sind im Laufe der letzten Monate dann und wann manchmal ein klein wenig nachlässig geworden. Dies ist zutiefst menschlich und wenn einige jetzt im Brustton der Überzeugung meinen „Ich aber nicht“, dann sollten sie doch zunächst noch einmal in sich gehen. Erinnern Sie sich noch an das kürzlich hier abgedruckte Zitat aus Brasilien? „Die Fehler der anderen beurteilen wir als Staatsanwalt, die eigenen als Verteidiger?“ Wir müssen den Kurs halten, um den sicheren Hafen zu erreichen. Beherzigen wir deshalb ein Wort von Ferdinand August von Spiegel (1764-1835), der von 1824 bis zu seinem Tode als Erzbischof von Köln amtierte: „Leichtsinn ist die erste Quelle jedes Unglücks, das uns droht.“
- Die Erkenntnis, dass das Corona-Virus nach aktuellen Studien viermal gefährlicher ist, als eine saisonale Grippe. Es ist ein Virus, das man ohne Zweifel ernst nehmen muss, aber natürlich auch nicht überdramatisieren darf. Wir müssen bis auf weiteres damit leben.
- Die beginnende Diskussion über die Verteilung des Impfstoffes. Darüber reden nun alsbald Expertengruppen. Für mich ist klar, dass insbesondere Risikopatienten, die Älteren unter uns – natürlich wird hier über Altersgrenzen gestritten werden, denn ein Thema braucht ja der Mensch - sowie Mitarbeitende in den Krankenhäusern, Pflegeheimen und medizinischen Berufen Vorrang haben müssen. Sie sind dem Virus in besonderer Weise ausgesetzt.
Da aber die meisten von Ihnen die Nachrichten verfolgen werden, wissen Sie selbst um die aktuelle Lage und machen sich darüber (hoffentlich) ihre eigenen Gedanken. Also sind diese zweifellos wichtigen Themen, die ich ja nun ohnehin kurz angesprochen habe, nicht unbedingt der richtige Inhalt für diese Kolumne, die sich ja ein wenig von den täglichen Nachrichten abheben soll.
Auch über den Ausfall unserer traditionellen Kirmesfeiern in Neustadt, Momberg und Mengsberg oder des Karnevals will ich nicht schreiben. Die Entscheidungen waren vernünftig. Bei den Weihnachtsmärkten bin ich hin und her gerissen. Ich verstehe die Händler und Schausteller ebenso wie die Hoteliers, sie brauchen die Einnahmen. Aber das besondere Flair der Märkte wird bei vorgegebenen Laufwegen und rationierter Glühweinmenge einfach fehlen.
Der Song „Was ich dir sagen will“ stammt übrigens aus der Feder von Joachim Fuchsberger (1927-2014). „Wir Älteren“ kennen „Blacky“ als Schauspieler, insbesondere in der Edgar-Wallace-Filmreihe aus den 1960ern, und als Talk- und Showmaster („Heut` Abend“ und „Auf Los geht`s los“). Er schrieb aber auch, für die meisten unbekannt, zahlreiche Liedtexte. Gesungen wurde der Schlager von Udo Jürgens (1934-2014). Der Komponist, Pianist und Sänger gehört mit über 100 Millionen verkaufter Tonträger zu den kommerziell erfolgreichsten Unterhaltungsmusikern im deutschen Sprachraum. 1967 hielt sich das Lied über Monate hinweg ganz vorn in der deutschen Hitparade.
Also über was schreiben?
Fast scheint es mir so, dass ich diesmal – mit Ausnahme der aktuellen Themen - unter einer Art Schreibblockade leide. Sie lachen? Die Sache ist wissenschaftlich erforscht. Es handelt sich um ein Phänomen, bei dessen Auftreten ein Autor vorübergehend nicht in der Lage ist, zu schreiben. Ein Spezialfall der Kreativitätsblockade. Darunter leiden besonders Schriftsteller, Journalisten und Studenten beim Schreiben von Haus- und Examensarbeiten.
Wenn ich das so lese und kurz darüber nachdenke, dann glaube ich übrigens, dass ich in den 1990er Jahren als Student der Rechtswissenschaften an der Marburger Philipps-Universität schon einmal darunter litt, denn auch damals lag das Blatt Papier manchmal weiß vor mir …
Sollte ich diesmal tatsächlich eine solche Schreibblockade haben, dann befände ich mich übrigens in bester Gesellschaft: Dostojewski, Beckett, Kafka, Hemingway oder Tolkien – also die berühmtesten Schriftsteller ihrer Zeit - litten schließlich anerkanntermaßen ebenfalls darunter. Nein, auch wenn ich gerne diese Kolumne schreibe, weiß ich natürlich um meine und deren Fähigkeiten und stelle mich nicht in eine Reihe mit diesen „Heroen des Wortes“.
Aber nach einem Glas Federweißer mit der Gattin scheine ich doch geheilt zu sein. Nach einem kurzen Blick in die Unterhaltungsshow „Big Performance“ auf RTL, die meine Damen oben mit Begeisterung schauen, bin ich wieder im Erkerzimmer. Blicke auf den Tisch und der Zufall schenkt mir ein Thema.
Wie sagte schon der römische Dichter Ovid (43 v. Chr. - 17 n. Chr.) vor über zweitausend Jahren: „Überall herrscht der Zufall. Lass deine Angel nur hängen. Wo du es am wenigsten glaubst, sitzt im Strudel der Fisch.“
Dort liegen nämlich meine beiden neusten Errungenschaften: Zwei Foto-Bücher über die große Zeit des Circus Krone.
Viele von Ihnen wissen ja sicher um meine Begeisterung für den klassischen Circus. Seit fast dreißig Jahren bin ich nun schon Mitglied der Gesellschaft der Circus-Freunde und lese Monat für Monat mit Begeisterung die „Circus-Zeitung“. Ja, so etwas gibt es tatsächlich.
Mein Favorit war immer der Circus Barum von Gerd Siemoneit. Das 2008 leider eingestellte Unternehmen bot stets Circus-Kunst pur. Artisten, Clowns und humane Tierdressuren. In meinem Büro zu Hause, das inzwischen weitgehend „die Damen“ übernommen haben, hängt neben dem Bild von Erzbischof Johannes Dyba (1929-2000) immer noch ein Foto des genialen Tierlehrers, das ihn mit den Eisbären aus der großen gemischten Raubtiernummer zeigt. Für mich war es daher auch ein besonderes Ereignis, dass seine Tochter Rebecca im letzten Jahr Schirmherrin unseres kleinen Circus-Festivals um den „Goldenen Biber“ war. Übrigens ohne jede Gage oder Fahrtkosten. „Nach Corona“ wird es sicher wieder eine solche Veranstaltung geben.
Schön, dass sich meine Tochter auch für den Circus begeistern kann. In ihrem Zimmer hängt ein Bild, das sie mit dem bekannten Clown Fumagalli zeigt, der viele Jahre im Circus Krone auftrat. Sein „Bienchen, Bienchen gib mir Honig“ hat nicht nur Leonie herzhaft zum Lachen gebracht.
Gerd Siemoneit ist auch ein guter (Tier-)Psychologe. Dies kommt in dem Buch „Die Kunst mit dem Tier im Menschen umzugehen“ zum Ausdruck. Dort schildert er dem Autor, dass es die wesentliche Aufgabe des Tierlehrers sei, die Stärken eines jeden Tieres zu erkennen, um sie dann in der Manege an der passenden Stelle vorstellen zu können. Der legendäre Circus-Direktor vertritt weiter die Auffassung, dass es in Unternehmen nicht anders sei. Auch dort gelte es, die Fähigkeiten der Mitarbeitenden herauszuarbeiten und für das „große Ganze“ zu nutzen. Recht hat er.
Circus Krone habe ich ebenfalls viele Male besucht, im Münchner Circus-Bau ebenso wie auf Tournee. Wenn man in Neustadt gegen 4.30 Uhr mit dem Zug startete, war man am Vormittag in München und nach Mitternacht wieder zu Hause. Was tut man nicht alles für sein Hobby. Ich war immer angetan von der Perfektion des Unternehmens. Krone, den größten Circus Europas, habe ich respektiert, Barum hingegen verehrt.
Das Münchner Unternehmen wurde 1905 von Carl Krone gegründet. Sein Wahlspruch „Eure Gunst, unser Streben“ hat sich bis in die Gegenwart erhalten und wird auch noch von der heutigen Direktorin Jana Lacey-Krone verwandt.
Ein Wort, das den Anspruch des Circus klar hervorhebt: Wir geben immer das Beste für unser Publikum.
Ein Wort, das auch in vielen anderen Bereichen Geltung haben muss: Im Sport, in der Kultur oder auch in der Politik.
Jeder, der in einem der genannten Bereiche aktiv ist, ist immer aufgefordert, seine Leistung zu bringen. Der Fußballer und der Trainer, der Schauspieler und die Sängerin, der Minister und der Oppositionsabgeordnete.
Schließlich ist jeder der Genannten auf die Gunst des Publikums angewiesen. Sei es als zahlender Zuschauer oder als Wähler.
Doch halt: Wie weit darf gerade das Streben des Politikers nach der Gunst des Wählers gehen?
Der langjährige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel (1928-2013) hat einmal beklagt, dass die Politiker dem Bürger zu oft nach dem Mund reden und sich vor unangenehmen Entscheidungen scheuen. In meinen Augen stimmt dies. Das Los des Politikers ist es, eben auch unangenehme Wahrheiten verkünden zu müssen.
Konrad Adenauer (1876-1967), der Gründungskanzler der Bundesrepublik, hat dazu einmal gesagt: „Machen sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden sie auch respektiert.“
Gerade in herausfordernden Zeiten wie diesen muss Politik klar sagen, „was Sache ist“, sie muss auch unpopuläre Entscheidungen treffen und diese – das ist wichtig – der Bevölkerung erklären.
Der von einer Regierung eingeschlagene Weg mag nicht immer allein gefallen, aber der britische Staatsmann Winston Churchill (1874-1965) hat recht, wenn er einst feststellte: „Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen“. Nicht, weil sie Gewalt ausüben, sondern weil sie die Mehrheit – hervorgegangen durch freie Wahlen - repräsentieren.
Natürlich streben auch wir Kommunalpolitiker nach der Gunst der Menschen vor Ort. Das ist doch völlig klar. Mit unserer Arbeit wollen wir schließlich etwas für sie erreichen. Aber auch hier gibt es die angesprochenen Grenzen. Das Wohl eines Einzelnen ist nicht immer deckungsgleich mit dem Wohl der Allgemeinheit. Wir werden folglich nicht immer die Gunst aller erhalten oder behalten können.
Leitspruch für meine kommunalpolitische Arbeit ist daher ein Wort des Propheten Jeremia (um 650 v. Chr.). Bei ihm heißt es im 29. Kapitel: „Suchet der Stadt bestes“. Diesem Ziel stelle ich mich gestern – heute – morgen. Die anderen in Stadtverordnetenversammlung, Magistrat und Ortsbeiräten tätigen Damen und Herren tun dies im Übrigen auch, da bin ich mir mit Blick auf unsere gemeinsame Arbeit für Ort sicher.
So, das war es, was ich Ihnen in dieser Woche sagen wollte und das Blatt Papier blieb auch diesmal nicht weiß und leer.
Bleiben Sie gesund.
Thomas Groll
Bürgermeister