<span> Bildquelle: </span>Stadt Neustadt (Hessen)
„Hilferuf aus der Provinz“

In den kommenden Monaten soll eine Novellierung des Kommunalen Finanzausgleiches beraten und beschlossen werden. Das Inkrafttreten der Neuregelung ist dann für 2026 vorgesehen.

Ich nehme dies zum Anlass, einen „Hilferuf aus der Provinz“ zu verfassen, da ich die große Sorge habe, dass die Interessen des ländlichen Raumes bei den Beratungen möglicherweise nicht genügend Gehör finden.

Hessen ist weitaus mehr als der Ballungsraum Rhein-Main und wir alle wollen doch, dass Hessen ein Bundesland bleibt, wo nicht nur Südhessen Zukunft hat.

Um dies zu gewährleisten, müssen aber auch die Kommunen des ländlichen Raumes, insbesondere in Mittel- und Nordhessen, attraktiv bleiben. Sie müssen daher in der Lage sein, die notwendige Infrastruktur vorzuhalten. Diese muss sowohl für die Kommunen als auch die Bürgerinnen und Bürger bezahlbar sein.

Es muss alles getan werden, um eine Landflucht in die großen Städte zu verhindern.

Die meisten Kommunen werden dies nicht ohne Unterstützung des Landes schaffen können. Am Beispiel Neustadt kann ich dies deutlich machen. Selbst eine sparsame Haushaltsführung kann die vorhandenen infrastrukturellen Mängel nicht beheben.

Als Bürgermeister, der seit Juli 2007 im Amt ist und zuletzt im Januar 2025 für weitere sechs Jahre wiedergewählt wurde, glaube ich zu wissen, wo die kleinen Kommunen in der Fläche der Schuh drückt.

Wir sollen beispielsweise ausreichend Kindergartenplätze für Kinder ab einem Jahr vorhalten, bekommen die Personalstärke ebenso vorgegeben wie die notwendige Leitungsfreistellung, aber das Land beteiligt sich nicht adäquat an den Kosten der Kinderbetreuung.

Seit Jahren wird der Zeitpunkt für die zukünftigen personellen Mindeststandards immer wieder kurzfristig nach hinten verschoben. Wir hatten uns auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens verlassen und erfüllen daher seit 2022 die Vorgaben. Im Juni 2022 frug ich beim Sozialministerium nach, ob die Regelung tatsächlich zum 1.8.2022 in Kraft trete. Dieses wurde ausdrücklich bejaht. Sechs Wochen später wurde die Regelung zum ersten Male „einkassiert und soll nun erst zum 1.8.2026 kommen. Leider bleiben wir auf den Mehrkosten sitzen – wobei die neue Personalstruktur sinnvoll ist, wie die Praxis zeigt.

Die vom Land gezahlten Freistellungsbeiträge von 150 Euro für Kinder über drei Jahren decken deutlich weniger als 50 % der tatsächlichen Kosten. Wir brauchen hier eine verbesserte Unterstützung und eine Angleichung an die Realität.

Die Koalition aus CDU und SPD hatte im Koalitionsvertrag zugesagt, sich für eine nachhaltige Entlastung der Kommunen bei den Betriebskosten einzusetzen.

Leider kann ich bisher keine diesbezüglichen Aktivitäten erkennen.

Das Land zieht sich nun wohl ganz aus der Förderung investiver Vorhaben im Bereich der Kindertagesstätten zurück, obwohl im Koalitionsvertrag zugesagt wurde, ein neues Investitionsprogramm für diesen Bereich aufzulegen. Die vom Sozialministerium stattdessen angekündigten verbilligten Darlehen sind hierfür kein Ersatz. Wir müssen vor Ort eine neue Kindertagesstätte errichten, uns fehlen voraussichtlich Fördermittel in Höhe von 800.000 Euro, die wir dann auf dem Kreditmarkt aufnehmen müssen.

Ich vertrete die Auffassung, dass gerade der Bereich Kinderbetreuung Vorrang vor anderen Bereichen des Landeshaushaltes haben muss. Warum werden gerade in diesem wichtigen Bereich, der zudem die Städte und Gemeinden betrifft, augenscheinlich alle Zusagen aus dem Koalitionsvertrag kassiert?

M.E. gäbe es im Landeshaushalt trotz starker Einnahmeausfälle Möglichkeiten der Umschichtung. Wäre nicht eine gute Betreuung der Kleinsten wichtiger als etwa die Einführung des „Hessengeldes“? Auch in zahlreichen anderen Bereichen gäbe es sicherlich Möglichkeiten der Einsparung bzw. die Chance, Maßnahmen zeitlich nach hinten zu verschieben.

Der Erhalt unserer Infrastruktur und die Kinderbetreuung müssen jetzt Vorrang haben!

Die Schuldenbremse von Bund und Land sehe ich in diesem Zusammenhang sehr kritisch. In „guten“ Zeiten mag sie vielleicht ihre Berechtigung gehabt haben. Inzwischen ist dies anders. Wenn eine junge Familie heute ein Einfamilienhaus baut, muss sie in fast allen Fällen einen Kredit aufnehmen. Bei Investitionen der öffentlichen Hand ist es doch durchaus vergleichbar. Hier geht es um Generationenprojekte, deshalb finde ich richtig sie auch zwei Generationen hinweg zu finanzieren.

Zum Bereich Kindergärten fällt mir noch der unselige § 28 HKJGB ein. Diese Ausgleichsverpflichtung gehört abgeschafft, zumindest aber reformiert. Wenn die Wohnsitzgemeinde den Eltern einen Kindergartenplatz anbieten kann, dann muss der Elternwunsch zurückstehen. Es kann nicht sein, dass KiTa-Plätze im ländlichen Raum vorhanden sind, aber leer stehen, weil die Eltern die Kinder etwa in Betriebskindergärten bringen oder am Ort ihres Arbeitsplatzes – zumeist eine größere Kommune – anmelden und wir dann als Kommunen hierfür auch noch tausende von Euros zahlen müssen.

Es wäre zusammengefasst notwendig, dass das Land weiterhin eine investive Förderung bei KiTas sicherstellt und über den KFA zukünftig eine Beteiligung an den Betriebskosten gewährleistet ist.

Kinder sollen Schwimmen lernen und ihre Freizeit sinnvoll verbringen. Auch Bäder leisten einen Beitrag zur Attraktivität des ländlichen Raumes. Es sollte geprüft werden, inwieweit der Betrieb von Bädern über den KFA unterstützt werden kann. Oftmals unterhält eine Kommune ein Frei- oder Hallenbad, dass auch von der Einwohnerschaft von Kommunen ohne eine solche Einrichtung genutzt wird. Hier sollte ein Ausgleich erfolgen.

Kommunen können in der gegenwärtigen Finanzlage nicht auf Straßenbeiträge verzichten oder müssen sich den Anteil der Eigentümer anderweitig – über die Grundsteuer – zurückholen. Hier wären Regelungen wie in Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen wünschenswert. Warum soll das nicht auch in Hessen gehen? Trifft Hessen die Finanzkrise schwerer als die genannten Bundesländer?

Insgesamt muss der neue KFA berücksichtigen, dass die Schaffung und der Erhalt von Infrastruktur – Wasser, Kanal, Straße – im ländlichen Raum einfach teuer ist als im Ballungsraum. In Frankfurt leben 1.000 Menschen in einem Hochhaus, in Momberg 1.000 Menschen in einem ganzen Dorf. Hier sind die Fixkosten für Wasser und Abwasser einfach teurer als in der Mainmetropole. Hier muss der KFA entlastend wirken.

Kommunen mit einer Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete sind besonderen Herausforderungen ausgesetzt, diese sollten im Rahmen des KFA eine permante finanzielle Unterstützung des Landes erfahren. Andere Kommunen werden durch diese wenigen Städte und Gemeinden nachhaltig entlastet, insbesondere seitdem Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive bis zu 18 Monate in einer EAE verbleiben. Alleine die Anrechnung auf die Einwohnerzahl bei den Schlüsselzuweisungen sind kein Ausgleich für den vielfältigen Ärger, den eine EAE mit sich bringt.

Es gäbe noch viele Bereiche anzusprechen, etwa die investive Förderung für Feuerwehrhäuser, aber ich will es beim obigen „Hilferuf aus der Provinz“ zunächst belassen.

Ja, wir Kommunen dürfen und wollen uns nicht allein auf das Land verlassen.

Ja, wir Kommunen müssen das unsere dafür tun, dass es bei uns vor Ort Zukunft gibt.

Ja, wir Kommunen haben ein verfassungsrechtliches Anrecht darauf, dass uns Bund und Land bei der Finanzierung unserer Infrastruktur unterstützen.

Ja, wir Kommunen haben ein Anrecht darauf, dass das Konnexitätsprinzip nicht nur auf dem Papier existiert, sondern gelebt wird.

Thomas Groll

Bürgermeister