1.000 Worte – 2 Gedanken
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
die Älteren von Ihnen werden sich bestimmt noch an den 1930 geborenen und in Büdingen lebenden CDU-Politiker Dr. Christian Schwarz-Schilling erinnern, der sich schon früh in der Medienpolitik engagierte und von 1982 bis 1992 Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen war. In der Amtszeit von „Mr. Black Penny“ wurde u. a. das Privatfernsehen eingeführt und das Postmonopol aufgehoben. Von ihm vorangetriebene technische Neuerungen für schnurlose und mobile Telefone trieben in Deutschland den Übergang in die digitale Welt voran. Die Jüngeren unter uns sollten daher diesen Politiker ebenso kennen wie Konrad Zuse (1910-1995), der 1941 in Berlin den ersten funktionsfähigen Computer der Welt baute und später im osthessischen Hünfeld lebte. Schufen diese beiden Männer doch wichtige Grundlagen für das Voranschreiten der Digitalisierung. Vor seiner Karriere im Bonner Bundestag und in der Bundesregierung war Schwarz-Schilling übrigens als Unternehmer tätig und leitete in Büdingen die Accumulatorenfabrik Sonnenschein, einen Batterieproduzenten.
Einfach gesagt sind „Akkus“ Batterien, die wiederaufladbar sind. Wenn sie aber doch einmal unvorhergesehen leer sind, also keine Energie mehr vorhanden ist, dann wird dies zum Problem, dann besteht dringend Handlungsbedarf.
Wir haben dies zu Hause am letzten Freitag erlebt. Die Gattin berichtete von Schwierigkeiten beim Anlassen des Autos und vermutete, dass die Leistungsfähigkeit der Batterie wohl zu Ende gehe. Der Auftrag an mich war also klar: Ab in die Werkstatt. Gesagt getan. Dort stellte man rasch fest, dass wir tatsächlich eine neue Batterie brauchen. Dem Austausch der Energiequelle folgte dann, um im kommunalpolitischen Sprachgebrauch des Kämmerers zu bleiben, für mich eine außerplanmäßige Auszahlung. Als ich deren Höhe sah stutze ich kurz, aber irgendwie müssen ja die Werbeeinnahmen von Jürgen Klopp finanziert werden, der im Fernsehen regelmäßig die Vorzüge einer Automarke aus Rüsselsheim anpreist.
Nach fast einem Jahr Corona-Pandemie sind auch bei uns Menschen die Akkus leer. Wir alle sehnen uns nach der Normalität des Alltags zurück. Verwandte und Freunde treffen, geordneter Besuch von Kindergarten und Schule, weder Kurzarbeit noch Schließung von Läden, Frisören oder Gaststätten …
Wir brauchen eine zeitliche Perspektive, wie es weitergeht. Auf Impf-Chaos, Politiker-Streit oder uneinheitliches Vorgehen haben wir keine Lust. Hoffen wir, dass uns die heutigen Beratungen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten der Bundesländer hier zumindest einen Schritt voranbringen. Ein Stufenplan, wie ihn manche Politiker in diesen Tagen ins Gespräch brachten, wäre in meinen Augen nicht die schlechteste Lösung.
Trotz aller geäußerter Sorgen wird die Notwendigkeit der Corona-Maßnahmen von einer Mehrheit der Bevölkerung nicht infrage gestellt: 51 Prozent bezeichnen die aktuellen Einschränkungen nach einer Umfrage der ARD als angemessen, für 24 Prozent gehen sie nicht weit genug. 22 Prozent hingegen sagen, dass die Corona-Einschränkungen zu weit gehen. Während der gesamten Zeit der Pandemie stand die Mehrheit der Deutschen übrigens hinter den jeweils ergriffenen Corona-Maßnahmen.
Etwas skeptischer wird aber das konkrete Management der Corona-Krise mittlerweile gesehen: Noch nie haben so viele Bürgerinnen und Bürger das Agieren von Bundesregierung und Bundesländern kritisch bewertet wie aktuell: 56 Prozent der Deutschen sind damit unzufrieden, 42 Prozent sind zufrieden.
Erwarten wir aber von dem Treffen keine Wunderdinge. Begangene Fehler – vor denen keiner in Ausnahmesituationen gefeit ist - müssen von den Verantwortlichen aber offen angesprochen und abgestellt werden. Das ist unser Anspruch an die Regierenden.
Wir alle sollten in den kommenden Wochen trotz der Erwartung nach Verbesserung besonnen bleiben. Wir dürfen nicht riskieren, dass wir in vier Wochen plötzlich wieder ganz hohe Zahlen haben, weil wir unvorsichtig sind. Die Entwicklung in Portugal und anderen Ländern kann man nicht einfach ignorieren. Wenn wir nicht aufpassen, machen wir alle in den letzten Wochen erzielten Erfolge zunichte. Insbesondere vor den Mutationen des Virus müssen wir auf der Hut sein.
Seien wir ehrlich: Mit der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten will doch keiner von uns tauschen. Sie wissen um unsere Erwartungen, aber auch um die Gefahren. Es ist ein schmaler Grat auf dem sie wandern.
Der österreichische Dichter Ernst Ferstl hat es treffend auf den Punkt gebracht: „Verantwortung zu tragen ist eine der schwersten Prüfungsaufgaben, die uns das Leben stellt.“
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Vor etlichen Monaten hatte ich in meiner Kolumne vom 100 Jahre alten britischen Rekordspendensammler Captain Tom Moore berichtet. Der Weltkriegsveteran hatte mit einem Spendenlauf an seinem Rollator knapp 37 Mio. Euro für den Nationalen Gesundheitsdienst in der Corona-Pandemie gesammelt. Die Queen schlug ihn daraufhin zum Ritter. Captain Tom stürmte mit seiner Version der Fußballhymne „You will never walk alone“ zudem an die Spitze der Charts in Großbritannien.
Nun ist dieser beeindruckende Mann – welche Ironie des Schicksals – am Corona-Virus gestorben, da er aufgrund einer Lungenentzündung nicht gegen COVID-19 geimpft werden konnte.
Lassen Sie uns seiner ebenso gedenken, wie der an oder mit Corona verstorbenen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus unserer Heimatstadt, wie aller, die in unserem Land Opfer der Pandemie wurden.
Vor dem Hintergrund dieser Schicksale fehlt mir im Übrigen jedes Verständnis für Äußerungen, die Corona immer noch bagatellisieren wollen. An einer „normalen Grippe“ starben in Deutschland nicht innerhalb von elf Monaten über 60.000 Menschen.
Es ist gut, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine nationale Gedenkfeier für die Toten der Corona-Pandemie angekündigt hat. Am 18. April wollen wir alle innehalten, den Hinterbliebenen eine Stimme geben und in Würde von den Toten Abschied nehmen.
Passend hierzu fällt mir ein Wort nach Adolf Friedrich Graf von Schack (1815-1894), einem deutschen Dichter und Historiker ein: „Ein Volk, das seine Toten nicht ehrt, beschämt sich selbst.“
Bleiben Sie gesund!
Thomas Groll
Bürgermeister