Das Jahr geht zu Ende
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
in einer Woche geht das Jahr 2020 zu Ende. Es ist also an der Zeit, für eine Bilanz der vergangenen 366 – es gab ja diesmal wieder einen 29. Februar – Tage. Nehmen Sie sich doch einfach einmal fünf Minuten, um auf einen kleinen Zettel die Aktiva und Passiva der letzten zwölf Monate aufzuschreiben.
Es wird Ihnen dabei nicht anders ergehen als den Medien oder mir, ein Thema wird sicherlich auch bei Ihrer Auflistung herausragen und den meisten Platz des Zettels einnehmen: Corona.
Was im Januar und Februar in China begann und damals so weit weg schien, ist inzwischen ganz, ganz nah – auch bei uns in Neustadt. Inzwischen kennt wohl fast jeder von uns jemanden, der infiziert war und auch die Verstorbenen haben für uns Name und Gesicht bekommen.
Corona verändert. Corona schränkt ein. Corona führt zu neuen Sichtweisen. Eine Welt, ein Virus. Nie zuvor hat ein Thema so die Nachrichten bestimmt wie diese Pandemie. „Der Krisenmodus als Alltag – wie kommen wir da wieder heraus?“, frug die „Oberhessische Presse“ am vergangenen Samstag. Eine Frage, die wohl die meisten von uns beschäftigt.
Klar ist, dass am Neujahrstag nicht - wie es ein bekannter Karnevalsschlager des Kölner Stimmungssängers Jupp Schmitz über den Aschermittwoch aussagt - plötzlich alles vorüber sein wird. Im Gegenteil. Auch 2021 wird zweifellos noch für viele Monate durch Corona und dessen Auswirkungen geprägt sein, da dürfen wir uns gemeinsam nichts vormachen.
Wir können aber auch nicht in einen „Dornröschenschlaf“ verfallen und warten, bis wieder dauerhafte Normalität Einzug gehalten hat. Wir müssen, so banal es klingt, das Beste aus dieser herausfordernden Situation machen, für uns und die Gesellschaft.
Der US-amerikanische Schriftsteller Harold „Hal“ Borland (1900-1978) bringt meine Gedanken hierzu treffend auf den Punkt, wenn er schreibt: „Das Jahresende ist kein Ende und kein Anfang, sondern ein Weiterleben mit der Weisheit, die uns die Erfahrung gelehrt hat.“
Eines hat die Pandemie uns aber gezeigt: Solidarität und Mitmenschlichkeit werden, wenn es darauf ankommt, von vielen gelebt. Daneben leisten viele, viele Menschen in diesen Wochen Großes, damit es einfach „läuft“. Ihnen allen sage ich sicher heute noch einmal „Dankeschön!“ und bin sicher, dass ich dies auch in Ihrer aller Namen tue: den Ärzten und Arzthelferinnen, dem Krankenhauspersonal und denen, die in der Pflege alter und kranker Menschen arbeiten, den Rettungsdiensten, den Mitarbeitenden in Apotheken und Physiotherapie-Praxen, den Erzieherinnen in den Kindergärten und den Lehrern, der Polizei und Freiwilligen Feuerwehr, den vielen im Einzelhandel und im Handwerk, den Menschen in den Verwaltungen und in allen anderen Bereichen des Alltags, deren Tun wir so oft als selbstverständlich hinnehmen.
Eine der Lehren, die wir aus Corona ziehen sollten, muss es sein, dass wir diese Wertschätzung auch zukünftig beibehalten und Politik und Wirtschaft hierauf ebenfalls entsprechend reagieren. Lassen Sie mich unsere Gesellschaft einmal mit einem Uhrwerk vergleichen: Es kommt auf jeden an. Wenn nicht alle Rädchen, Schrauben und Federn ihre Aufgabe verlässlich übernehmen, dann drehen sich die Zeiger nicht … Diese Erkenntnis darf nicht in Vergessenheit geraten.
Der Völkerapostel Paulus hat im 1. Brief an die Korinther eine andere Metapher gewählt, um die Notwendigkeit des Miteinanders darzustellen. Er vergleicht dort die christliche Gemeinde mit einem Leib. Ebenso wie der körperliche Leib viele unterschiedliche, zusammenwirkende Glieder hat, gibt es in der Gemeinde unterschiedliche Personengruppen, die jedoch nur den einen Leib Christ bilden, wenn sie ebenso kooperieren und zusammenhalten (1 Kor 12, 12-31).
*******
Kürzlich sah ich eine Karte mit einem Bonmot, einer witzigen Äußerung. „Früher Briefe schreiben, dann Brieftaube. Vier Wochen später eine Antwort. Heute Whats App. Vier Minuten später keine Antwort. Ist er tot?“, stand darauf zu lesen.
Sicherlich auch ein Beleg für unsere schnelllebige Zeit. Wer schreibt denn heute schon noch einen Brief? Viel öfters nutzen doch die meisten von uns andere Kommunikationsformen. Es muss schnell gehen und kurz sein. Auch mir geht es oftmals so. Wenn mir aber etwas besonders wichtig ist, dann bin ich bewusst altmodisch und diktiere oder tippe einen Brief. Meine Handschrift will ich schließlich keinem zumuten.
Jahr für Jahr erhalte ich wenige Tage vor Weihnachten Post von Dr. Gottfried Mehnert aus Marburg. Er wurde 1927 in Dresden geboren und studierte nach dem II. Weltkrieg u.a. in Marburg Theologie. Nach Promotion und Ordination war er Pastor in Kiel und kehrte 1990, nun im Ruhestand, nach Marburg zurück. Dort waren er und seine inzwischen verstorbene Frau vielseitig aktiv. Wir lernten uns über die gemeinsame Parteimitgliedschaft kennen. Dr. Mehnert, immer noch rüstig, blickt in seinen Zeilen immer auf das zu Ende gehende Jahr zurück. Er berichtet über Privates und Öffentliches und benutzt dabei ebenso gerne wie ich Zitate.
Diesmal verwendet er u. a. ein Wort des spanischen Arztes und Humanisten Andrés Laguna (1499-1559), der Stadtarzt im französischen Metz war als dort 1541 die Pest-Epidemie wütete. Was Laguna seinerzeit zu Papier brachte klingt hochaktuell: „So sehr missachten sie die Krankheit, so sehr tun sie das Gegenteil der Warnungen, so sehr leben sie unmäßig und ungebührlich, dass sie nicht begreifen, wie gefährlich diese Krankheit ist.“ Hoffen wir einmal, dass dieser Satz von „den Richtigen“ gelesen wird.
Dr. Gottfried Mehnert schließt seinen Brief mit drei Worten. Sie stammen vom Barockdichter Paul Fleming (1609-1640): „Sei dennoch unverzagt.“
Ja, seien wir trotz aller Herausforderungen auch im neuen Jahr 2021 unverzagt. Corona mag unser gewohntes Leben beeinträchtigen, aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Versprochen?!
In den kommenden Monaten liegt nochmal eine Kraftanstrengung vor uns – wir können, wir werden sie meistern, wenn wir es denn nur wollen, zusammenstehen und Solidarität zeigen!
Mit einem Ausspruch des britischen Barockdichters Lord Alfred Tennyson (1809-1892) lasse ich meine Kolumnen für 2020 enden: „An der Schwelle des neuen Jahres lacht die Hoffnung und flüstert, es werde uns mehr Glück bringen.“ Vertrauen wir darauf.
Bleiben Sie alle gesund.
Thomas Groll
Bürgermeister