Herbst 89: Der Zusammenbruch der DDR - Erinnerungen von Eberhard Aurich
Erneut fanden über achtzig Interessierte den Weg in das Historischen Rathaus, um am 24. Oktober an einer weiteren Veranstaltung der zeitgeschichtlichen Reihe der Stadt Neustadt (Hessen) teilzunehmen.
Begrüßt wurden sie vom Trio "Semplice" mit "Bau auf, bau auf, freie deutsche Jugend bau auf", dem Lied der FDJ. Dies war natürlich eine Anspielung auf die frühere Tätigkeit von Eberhard Aurich, dem Gast des Abends, der gemeinsam mit seiner Gattin Christa Streiber-Aurich, einer ehemaligen Redakteurin des MDR, von Berlin nach Neustadt gekommen war.
Der 73-jährige war von 1983-1989 1. Sekretär des Zentralrates der FDJ, Mitglied des Zentralkomitees der SED, Mitglied der Volkskammer und des Staatsrates der DDR. Er war also ein "Spitzenfunktionär", gehörten doch zur FDJ über 2 Mio. Mitglieder und 7.500 hauptamtliche Mitarbeiter.
Eingangs betonte Bürgermeister Thomas Groll, dass man mit der Veranstaltung keine "Verklärung der DDR" betreiben wolle, sondern dass es vielmehr darum gehe zu erfahren, wie eine der damals handelnden Personen das Jahr 1989 mit seinen epochalen Veränderungen in der DDR wahrgenommen habe und was er, dreißig Jahre später, über den Arbeiter- und Bauernstaat, aber auch über die Wiedervereinigung denke.
Die Auszubildende Fabienne Diebel hatte einen Einspielfilm vorbereitet. Dieser zeigte auf, was von Mai bis Dezember 1989 in der DDR geschah. Der Bogen spannte sich vom Pfingstreffen der FDJ mit hunderttausenden Teilnehmern über die Massenflucht im Sommer und das 40-jährige Jubiläum der DDR vom Oktober bis zum Mauerfall am 9. November und der Öffnung des Brandenburger Tores kurz vor Weihnachten.
Beim Pfingstreffen hielt Eberhard Aurich die Hauptansprache und neben ihm stand Erich Honecker. Am 6. Oktober fand der große Fackelzug der FDJ statt und neben dem SED-Generalsekretär und Michail Gorbatschow stand der FDJ-Chef Eberhard Aurich.
Bürgermeister Thomas Groll führte mit Eberhard Aurich ein über einstündiges Gespräch. Dabei kam im Saal keine Langeweile auf, denn es war eine äußert interessante Geschichtsstunde. Die Ereignisse des Jahres 1989 dürften alle Anwesenden vor Augen gehabt haben. Sie bezogen ihre Informationen damals von ARD und ZDF, nun berichtete aber jemand, der dabei war, als Erich Honecker gestürzt und Egon Krenz gewählt wurde. Der im Zentralkomitee saß, als Krenz das Ausreisegesetz vorstellte oder der mit Margot Honecker über Erziehungsfragen der Jugend diskutierte.
Seine Erinnerungen an jene Zeit hat Eberhard Aurich kürzlich in einem lesenswerten Buch niedergeschrieben. Darin setzt er sich offen und kritisch mit der DDR und seiner eigenen Arbeit auseinander.
Auch in der Unterredung mit dem Bürgermeister redete der ehemalige FDJ-Vorsitzende "Klartext". Er gestand Fehler ein, verwahrte sich aber dagegen, dass in der DDR alles schlecht gewesen sei.
Aurich betonte, dass es sein Ziel gewesen sei, in der Arbeit der FDJ das Freiwilligkeitsprinzip zu verwirklichen. In der Jugendorganisation sollte man nicht auf Befehl etwas tun, sondern aus Überzeugung. Der Gast aus Berlin verwies auch darauf, und kann dies durch Dokumente belegen, dass die FDJ eine geänderte Politik der SED gefordert habe.
Die deutsche Einheit sieht er nur zu Teilen gelungen und seiner Meinung nach war die DDR kein Unrechtsstaat. Dies trug ihm eine kritische Nachfrage aus dem Publikum ein. Eberhard Aurich nahm dazu Stellung und sagte, dass die DDR ein Rechtsstaat gewesen sei, in dem es aber sehr wohl Unrecht gegeben habe.
Thomas Groll dankte Eberhard Aurich für das informative Gespräch. Seine Ausführungen trügen sicher dazu bei, dass die Gäste des Abends Einblicke in die DDR des Jahres 1989 und das Denken und Handeln von SED und FDJ bekommen hätten. Dies seien Informationen, die jeder selbst bewerten müsse.
Mit "Dem Sonderzug nach Pankow", gespielt und gesungen vom Trio "Semplice" endete eine interessante Veranstaltung.