„Es geht um unsere Verantwortung für die Zukunft, nicht um Schuld.“ Gesprächsabend mit Vertretern der jüdischen Gemeinde Marburg/L.
Unter der Überschrift „Erinnerungskultur ist notwendiger denn je!“ hatte die Stadtverordnetenversammlung im Februar 2018 einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU, SPD und FWG im Hinblick auf die 80. Wiederkehr der Pogromnacht vom November 1938 beschlossen.
Bestandteile dieses Antrages sind u. a. eine Erinnerungsveranstaltung am 8. November 2018, die inhaltliche und vor allem nachhaltige Befassung mit der Thematik und die Schaffung einer würdigen Erinnerungsstätte für die in den Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Deutschlands ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Neustadt und Momberg.
Im Vorfeld der Entscheidung hatten die Fraktionen auch intensiv über die Verlegung von „Stolpersteinen“ diskutiert. Man verständigte sich darauf, hiervon zunächst Abstand zu nehmen. Nach einer Phase der Information und weiteren Meinungsbildung soll hierauf aber nochmals zurückgekommen werden.
Dankenswerterweise hat die jüdische Gemeinde Marburg/L. sich dazu bereit erklärt, die Kommune bei diesem Weg zu begleiten. Am 20. Juni 2018 fand als erste gemeinsame Aktivität ein Gesprächsabend mit Monika Bunk, der 2. Vorsitzenden, und Natan Rosemann im Historischen Rathaus statt.
Bürgermeister Thomas Groll konnte hierzu rund fünfzig interessierte Mitbürgerinnen und Mitbürger begrüßen. Er führte kurz in die Thematik ein und verwies darauf, dass die Kommune der Pogromnacht nicht nur im Rahmen ihrer zeitgeschichtlichen Veranstaltungsreihe mit einer einzigen Veranstaltung gedenken wolle, sondern dass es angestrebt sei, sich der örtlichen Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen intensiver zu widmen. Die Wegstrecke hin zum Stadtjubiläum Neustadt 2025 im Jahre 2022 biete den passenden Rahmen hierfür. Gerade vor dem Hintergrund eines wieder anwachsenden Antisemitismus sei die angezeigt.
Der Momberger Kreistagsabgeordnete und Geschichtslehrer Sebastian Sack brachte das Ansinnen der Kommune auf dem Punkt als er in einem Wortbeitrag feststellte „Es geht um unsere Verantwortung für die Zukunft, nicht um Schuld.“ Einer Sichtweise, der sich viele Anwesende anschlossen.
Zu Beginn der Gesprächsrunde wurde deutlich, dass über Jahrzehnte hinweg die Geschehnisse der Jahre 1933-1945 kaum im Geschichtsunterricht der Schulen behandelt wurden. Auch kam die Frage auf, wie es zur millionenfachen Ermordung jüdischer Mitbürger kommen konnte.
In Neustadt lebten 1933 über 100 Juden. Acht Jahre später waren die örtlichen jüdischen Gemeinden ausgelöscht. Nach dem Krieg kehrte nur eine Jüdin nach Momberg zurück.
Breiten Raum nahm die Frage des Gedenkens ein: „Stolpersteine“, Gedenktafel oder Erinnerungsort? Die Meinungen hierzu waren unterschiedlich, für die jeweiligen Ansichten gab es Für und Wider. Einig war man sich aber darin, dass die gewählte Form von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung getragen werden müsse, denn ansonsten fehle die Akzeptanz.
Zunächst soll nun der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur Ausführung kommen. Dabei will man auch die Namen der Ermordeten „zurück in die Stadt, in der sie gelebt haben holen.“ Bürgermeister Thomas Groll kündigte an, die Gedanken hierzu weiter voranzutreiben und diese vor der Umsetzung nochmals öffentlich vorzustellen. Dabei werde man, dem Rat eines Künstlers folgend, nicht starr auf den 8. November 2018 schauen. „Es kommt nicht auf ein bestimmtes Datum an, das Werk muss gut und von vielen getragen sein“, betonte Groll.
Monika Bunk stellte im Verlauf des Abends auch die jüdische Gemeinde Marburg/L. kurz vor. Diese blickt auf eine 700-jährige Geschichte zurück. Gegenwärtig gehören rund 360 Menschen zur Gemeinde, die überwiegende Mehrheit zog nach 1989 aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu.
Bürgermeister Groll kündigte an, dass als weitere Aktivitäten ein Gang zum jüdischen Friedhof zwischen Neustadt und Momberg und eine Stadtführung auf jüdischen Spuren in Marburg/L. sowie ein Besuch der dortigen Synagoge anstünden. Die Termine hierzu werden noch bekanntgegeben.