Vereine, Kinder & Corona - Expertengespräch über die Kinder- und Jugendarbeit in Pandemiezeiten
Corona-bedingt kam die Arbeit der Vereine seit März 2020 mehr oder weniger zum Erliegen. Angebote für Kinder und Jugendliche konnten kaum noch durchgeführt werden.
Gegenwärtig gibt es aufgrund der deutliche gesunkenen Inzidenzzahlen Hoffnung, dass wieder eine Stetigkeit in das Vereinsleben Einzug halten kann und der Trainings-und Wettbewerbsbetrieb bei den Sportvereinen, aber auch die Übungsstunden aller anderen Vereine wieder stattfinden können.
Gleichwohl gibt es die Sorge, dass die „Delta-Variante“ des Corona-Virus im Herbst dieses Jahres erneut zu Einschränkungen des Vereinslebens führen könnte, die dann insbesondere Kinder treffen würde, da diese nicht geimpft sind.
Auch die Neustädter Kommunalpolitik befasst sich natürlich mit der Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf das Vereinsleben.
In der konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung im April 2021 hatte die SPD-Fraktion angeregt, ein Expertengespräch hierzu durchzuführen.
Bürgermeister Thomas Groll hatte daher unter der Überschrift „Vereine, Kinder & Corona“ am 7. Juli 2021 in das Kultur- und Bürgerzentrum eingeladen. Er zeigt sich zu Beginn der Veranstaltung erfreut darüber, dass er über 30 Interessierte begrüßen konnte. An diesem Abend kamen Vereinsvertreter, Kommunalpolitiker und hauptamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit Tätige zusammen, um sich auszutauschen.
Das Einführungsstatement des Bürgermeisters baute auch auf Ausführungen des örtlichen Kreistagsabgeordneten Sebastian Sack auf, der zugleich Vorsitzender des Kreisjugendringes ist und zu dem Thema „Kinder und Jugendliche in Corona-Zeiten“ kürzlich im Kreistag gesprochen hatte, an der Veranstaltung aufgrund eines Unfalles aber leider nicht teilnehmen konnte.
Thomas Groll verwies darauf, dass gerade Kinder und Jugendliche in den letzten Monaten eine große Solidarität mit den Älteren bewiesen hätten und Verzicht auf vieles leisten mussten. Später wurde dieser Ansatz aus dem Plenum aufgegriffen und Anne Gasse von der Schulsozialarbeit berichtete darüber, dass manche Jugendlichen das Empfinden hätten, ihnen sei seit März 2020 ein wichtiger Teil ihrer Jugend geklaut worden.
Der Bürgermeister verwies auch darauf, dass für Kinder und Jugendliche eben nicht nur die Schule zähle, sondern auch das Leben „drum herum“ wichtig sei und dazu gehörte zweifellos auch eine Vereinstätigkeit.
Durch Umfragen sei belegt, dass die psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch die Corona-Pandemie Schaden genommen habe, betonte Groll. Hier gelte es Hilfsangebote zu unterbreiten. Der Kreistag habe auf Initiative der großen Koalition von SPD und CDU einen entsprechenden Antrag auf den Weg gebracht.
Vor Ort wolle man sich nun insbesondere mit der Frage beschäftigen, wie man die jungen Menschen wieder abholen und für das Vereinsleben begeistern könne. Die Frage der Mitgliedergewinnung sei nicht nur in Zeiten von Corona ein wichtiger Aspekt, um die Zukunft der einzelnen Vereine zu gewährleisten, sondern müsse immer bedacht werden.
Zudem gelte es sich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum etliche trotz stark gesunkener Fallzahlen nicht mehr in die Vereine gingen und möglicherweise auf der „Couch“ mit ihrem Computer oder dem Tablett zurückblieben. Hier wolle die Kommune ansetzen und mit einem eigenen kleinen Hilfsprogramm Unterstützung leisten.
Hans-Gerhard Gatzweiler, Fraktionsvorsitzender der SPD, griff die Worte des Bürgermeisters auf und betonte, dass sich viele an Distanz gewöhnt hätten und es nun schwierig für sie sei, zur Nähe zurückzufinden. Gatzweiler stellte den psychosozialen Aspekt als eine besondere Aufgabe für die Politik heraus.
Die Geschäftsführerin des Vereines für Sport und bewegungsorientierte Jugendarbeit (bsj), Monika Stein, richtete sich ebenfalls mit einem Statement an die Anwesenden. Kommune und bsj arbeiten seit vielen Jahren in unterschiedlichen Bereichen zusammen, dieses Miteinander müsse nun auf die aktuellen Herausforderungen abgestellt werden.
Monika Stein stellte heraus, dass in Neustadt immer zielführend und zukunftsweisend gearbeitet würde. Nach ihrer Kenntnis sei die Kommune bisher die einzige, die sich in einem solchen Rahmen mit der Thematik „Vereine, Kinder & Corona“ befasse.
Monika Stein verwies darauf, dass nach einer Umfrage nur 24% der Jugendlichen Angst vor einer Corona-Erkrankung hätten, aber 80% auf andere aufpassen wollten, damit diese nicht erkrankten. Dies zeige in ihren Augen das hohe Maß an Solidarität und Verantwortungsbewusstsein bei der jüngeren Generation. Auch sie vertrat die Auffassung, dass Kinder und Jugendliche durch den Lockdown besonders hart betroffen seien und man nun gemeinsam schauen müsse, wo man hier ansetze und neue Angebote unterbreiten könne.
Wie auch nachfolgende Rednerinnen und Redner betonte die bsj-Geschäftsführerin, dass es notwendig sei, die Eltern in diesen Wochen und Monaten miteinzubeziehen.
Timo Stark (CDU) der Vorsitzende des Fachausschusses für Soziales, Familie und Kultur, freute sich ebenfalls über die große Teilnehmerzahl am Expertengespräch und bezeichnete – auch aus seiner Sicht als Vorstandsmitglied des Schützenvereines Viktoria Momberg heraus – Corona als eine große Herausforderung für das Vereinsleben. Er zeigte sich optimistisch, diese Aufgabe mit gemeinsamen Kräften zu meistern.
Anne Gasse (Schulsozialarbeit), Philipp Berg (Stadtjugendpflege) und Martina Trogrlic (Stadtjugendpflege/WIR-Projekt für Südosteuropäer) berichteten anschließend von ihren Eindrücken der letzten Monate. Bei den Kindern und Jugendlichen reiche die Gefühlslage von Vorsicht bis hin zu Wut. Manche hätten sich in den letzten Monaten geradezu „eingesperrt“ gefühlt. Es sei auch zu Vandalismus-Schäden durch frustrierte Jugendliche gekommen.
Die Thematik „Kinder, Jugendliche und Corona“ müsse daher auch aus ihrer psychosozialen Situation heraus beurteilt werden. Man sei bereit, in den nächsten Wochen und Monaten die Arbeit zu intensivieren und nach Wegen zu schauen, die Kinder und Jugendlichen wieder abzuholen. Die Arbeit in den verschiedenen Bereichen habe aber auch während Corona nicht geruht, sei aber eine andere gewesen. Man habe die neuen Medien genutzt, um Kontakt zu halten und im Rahmen des Erlaubten viele Gespräche geführt.
Die Stadtjugendpflege möchte in den kommenden Wochen u.a. Zeit in Einzelgespräche investieren. Der Bürgermeister sagte zu, bis zum Jahresende stundenweise eine Honorarkraft zu finanzieren, um das „Alltagsgeschäft“ abzudecken.
Anschließend hatten die Vereine die Möglichkeit, aus ihrer Sicht über die Zeit seit März 2020 zu berichten. Dabei wurde deutlich, dass das Vereinsleben stark unter Corona gelitten hat. Training im Sport oder Übungsstunden etwa beim Neustädter Blasorchester konnten nicht abgehalten werden oder waren nur unter schwierigen Bedingungen möglich.
Alle hoffen, dass es nun geordnet weitergeht und es keinen Rückschlag gibt. Die große Sorge war, wie der Bürgermeisters eingangs bereits ausführte, dass es aufgrund der Delta-Variante im Herbst wieder zu Rückschlägen kommt. Hier sprach man sich dafür aus, dass Bund und Land die Situation mit Fingerspitzengefühl beurteilen.
Auch die Jugendfeuerwehr und die DLRG berichteten von ihren Erfahrungen. Ihnen erging es nicht anders als den anderen Vereinen. Ein Zusammenkommen und Miteinander war kaum möglich. Nun ist man wieder bestrebt, durch Angebote auf sich aufmerksam zu machen und natürlich auch neue Mitglieder zu gewinnen.
Dass man die Zeit der Beschränkungen nutzen konnte, um sinnvoll tätig zu werden, bewies ein Beitrag des Frauenvereines 1958 e.V.. Die „Rote Garde“ hat beispielsweise das Mitteilungsblatt auf Tonträger gelesen und den Senioren im „Wiesenhof“ zur Verfügung gestellt.
Ausschussmitglied Stefanie Pieper (CDU) sprach davon, dass vielen Jugendlichen ein „wichtiges Stück Leben“ genommen worden sei: Beispielsweise konnte viel nicht ihren 18. Geburtstag mit einer Party feiern oder eine Abi-Parade durchführen. Hier regte sie an, sobald es die Situation zuließe, eine „fette Party“ zu feiern und diese durch Vereine ausrichten zu lassen.
Auch sprach sie sich dafür aus, den Gardetanz der fünf karnevalstreibenden Vereine in der Kernstadt, aber auch in Momberg, zu unterstützen. Gerade für Mädchen seien diese Angebote wichtig.
Schulleiter Volker Schmidt von der Martin-von-Tours-Schule berichtete den großen Verwaltungsaufwand der gegenwärtig geleistet werden müsse, beispielsweise wenn es um die Dokumentation der in der Schule regelmäßig durchzuführenden Tests gehe.
Seitens zahlreicher Vereine, darunter dem VfL 1864/87 Neustadt e.V., wurde der Bürokratismus bei der Beantragung von Fördermitteln kritisiert. Oftmals seien die Voraussetzungen dann auch noch so gestrickt, dass ein vor der Pandemie gut wirtschaftender Verein gar nicht an Mittel kommen könne.
Auch Bürgermeister Thomas Groll sprach davon, dass nach seiner Wahrnehmung manche Förderprogramme die aktuell aufgelegt würden, wenig mit Corona zu tun hätten und das Geld in vielen Fällen nur schwerlich bei denen ankäme, die es tatsächlich bräuchten.
Die zahlreichen Meinungsäußerungen der Vereine machten deutlich, dass Corona recht einschneidend auf das Vereinsleben gewirkt hat. Allerdings will man sich nicht unterkriegen lassen und hofft gemeinsam auf bessere Zeiten.
Im zweiten Teil des Abends sprach man dann noch über die Frage, wie es zukünftig weitergehen könne. Hier wurde deutlich, dass die Mitgliederwerbung (und „Mitgliederhaltung“) von besonderer Bedeutung sei. Selbst in Neustadt und den Stadtteilen wüsste so mancher nicht, welche vielfältigen Angebote die Vereine machten. Die Anwesenden sprachen sich daher dafür aus, anlässlich des Tages der offenen Tür des Kultur- und Bürgerzentrums am 11. September 2021 auch eine „Vereinsmesse“ durchzuführen. Die Vereine sollen hier die Möglichkeit bekommen, sich zu präsentieren und für Fragen zur Verfügung zu stehen.
Der Bürgermeister kündigte an, dass die Kommune ein Sonderprogramm „Corona und Vereine“ auflegen werde, um jene Vereine im Sport- und Kulturbereich zu unterstützen, die in den nächsten Monaten Projekte durchführen, um die Kinder und Jugendlichen zurück in das Vereinsleben zu holen oder um neue Mitglieder zu gewinnen. Es soll ein einfach zu handhabendes Programm sein. Bis zu 500 Euro könne jeder Verein an Unterstützung bekommen Die Fehler von Bund und Land mit Bürokratismus wolle man dabei nicht wiederholen, so der Bürgermeister.
Zu einem weiteren Treffen wird man am 8. September zusammenkommen.
Beim ersten Expertengespräch wurde nämlich deutlich, dass Vernetzung der Vereine untereinander und mit der Stadtjugendpflege besonderer Wichtigkeit sei. Hier könne man noch optimieren. Gemeinsam, so eine Erkenntnis des Abends, erreiche man mehr. Man dürfe sich nicht als Konkurrenten verstehen, sondern befinde sich in einem Boot und müsse die Strecke zusammen erfolgreich zurücklegen.