1.000 Worte – 2 Gedanken
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
„No Sports“ ist die legendäre Antwort, die der britische Staatsmann Winston Churchill (1874-1965) einem Reporter auf dessen Frage gegeben haben soll, wie er, ein passionierter Zigarrenraucher und dem Whisky ebenso zugetan wie dem Champagner, dennoch sein hohes Alter erreicht habe.
Legendär übrigens auch die Leidenschaft von Queen Mum (1900-2002) für Gin. Die Mutter von Elizabeth II. soll sich täglich einen Gin Tonic genehmigt haben. Offen bleibt allerdings die Frage, ob sie trotz oder gerade wegen dieses Gläschens über 100 Jahre alt wurde.
Passend dazu kommt mir meine Oma Milie in den Sinn. Als sie bei uns wohnte und abends mit Begeisterung Volksmusiksendungen schaute, trank auch sie gerne ab und an ein Schnäpschen, allerdings keinen „aristokratischen“ Gin, sondern ein „bürgerliches“ Pfläumchen. Dazu musste es stets einen Keks geben, damit es im Hals nicht so kratzt… Erinnerungen an Oma und Opa sind doch immer wieder etwas Schönes. Hier gilt dann auch der Satz des Dramatikers Bertold Brecht (1898-1956); „Der Mensch ist erst tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“
Das Motto „No Sports“ galt bei uns am letzten Samstag nicht. Mama hatte Dienst und Leonie legte mit mir einen „Sporttag“ ein. Nach den essensintensiven Tagen rund um Weihnachten und Neujahr muss das ja auch einmal sein. Zunächst Schnee & Bewegung im Garten, dann zum Biathlon in den Thüringer Wald nach Oberhof – natürlich Corona-konform im TV – und zum Abschluss noch Fußball „satt“. Erst mit flinken Fingern an der Play-Station und dann stand noch Mainz gegen Frankfurt im Stadion „In der Wasenberger Straße“ auf dem Programm.
Die Tochter ist großer Fußballfan, kennt viele der heutigen Stars und wünschte sich kürzlich ein Abo des Bezahlsenders Sky, um die Spiele der Fußball-Bundesliga live verfolgen zu können. Welcher Vater kann schon widersprechen, wenn er Sätze wie „Ein Fan muss seine Mannschaft unterstützen.“ oder „Papa, das interessiert dich doch auch.“ hört? Seitdem wir nun am Wochenende Fußball schauen, läuft es beim Team von Adi Hütter, Leonies Lieblingsmannschaft, rund und die Eintracht konnte sechs Punkte einfahren.
Von einem weiteren berühmten Briten, dem Schriftsteller Charles Dickens (1812-1870), stammt der Ausspruch „Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.“ Passt dies nicht auf die Corona-Pandemie und die Impfung gegen COVID19? Ein kleiner Stich und wir kommen – wenn denn genügend mitmachen - „der Normalität“ wieder deutlich näher. Leider sind wir aber erst am Anfang eines „Impfmarathons“ und die Aufregung um das „Durcheinander drumherum“ lässt die gute Nachricht, dass es den Wissenschaftlern gelang, in weniger als einem Jahr einen wirkungsvollen Impfstoff zu entwickeln, völlig in den Hintergrund rücken.
Erinnern Sie sich noch an den Anfang von Corona in Deutschland? Es begann in der Firmenzentrale eines Automobilzulieferers im Landkreis Starnberg bei München. Eine Frau aus China ist auf Geschäftsreise in Deutschland. Sie fühlt sich leicht unwohl, aber nicht wirklich krank. Zurück in China wird sie positiv auf das neue Coronavirus getestet. Ohne es zu ahnen, wird die Geschäftsfrau zur Patientin Null des Ausbruchs in Deutschland. Am 27. Januar 2020 meldet das bayerische Gesundheitsministerium: Ein Mitarbeiter der Firma ist infiziert, er hatte zuvor Fieber und Husten entwickelt. Wenig später folgte Heinzberg und am 8. März dann der Landkreis Marburg-Biedenkopf.
Seit über zehn Monaten bestimmt Corona das Leben – in Deutschland, in Europa und der Welt. Die „Kronen-Zeitung“ ist das österreichische Pendant zur „BILD“. Ich schaue immer mal wieder auf die Homepage des Boulevardblattes und fand da kürzlich eine lesenswerte (Zwischen-)Bilanz, die in weiten Teilen auch auf unser Land zutrifft:
„ … Die Straßen leer. Kein Kinderlachen auf den Spielplätzen. Büros im Home-Office. Mädelsabende über Skype. Im ersten Lockdown waren alle dabei. Wollten helfen, die unbekannte Gefahr zu bekämpfen, hielten zusammen und entsprachen damit dem, was Psychologin Barbara Juen die „Honeymoon-Phase“ nennt.
Nun sind die Flitterwochen vorbei, die Motivation der Menschen lässt nach. Der Politik bleiben zwei Möglichkeiten: Die eine ist, mit harten Maßnahmen und Sanktionen die Menschen zur Kontaktbeschränkung zu zwingen. Das ist aber nicht nur teuer, sondern auch heikel.
Die Alternative ist, die Menschen mit offener und ehrlicher Kommunikation in die Entscheidungen einzubinden. Das Problem: In der Ruhe des Sommers verabsäumte es die Politik, Strategien auszuarbeiten. Für Schulen und Wirte. Für den Handel, die Pflegeheime. Für Tests und die absehbaren Impfungen. Für das Verfolgen der Kontakte.
Und die Zahlen stiegen. Allein: Nach Monaten der Fehler und der Missgeschicke fehlt vielen Menschen der Glaube an die Politik. Nach Monaten der Einschränkungen will man wieder frei sein. Ein Wunsch, der angesichts der andauernden Pandemie aber nicht zu erfüllen ist. Also was tun? „Zumindest die Fragen der Menschen beantworten“, sagt Psychologin Barbara Juen.
Der Lockdown ist zwar aus infektiologischer Sicht die einfachste Maßnahme, aber man muss viel deutlicher differenzieren. Der Lockdown ist eine Amputation, aber es bräuchte mehr mittelchirurgisches Vorgehen, um eine Balance zu schaffen zwischen dem Eindämmen und Minimieren der Infektionen und der Eindämmung von wirtschaftlichen oder psychosozialen Begleitschäden.
„Was im Moment schiefläuft, ist, dass die Bevölkerung nicht aktiv ins Boot geholt wird“, erklärt Barbara Juen. Eine Katastrophe verlaufe in mehreren Phasen. Die erste sei die „Honeymoon“-Phase, eine Zeit, in der der Zusammenhalt groß ist, die Menschen eine Meinung teilen; danach aber komme die so genannte Desillusionierungsphase, in der die Menschen zunehmend verärgert seien - und genau da befänden wir uns im Pandemieverlauf aktuell, so die Expertin.
Man habe es im Sommer verabsäumt, einen Boden für eine aktive Beteilung der Bevölkerung zu legen. Nun zu sagen, man müsse Zwangsmaßnahmen verhängen, weil die Bürger freiwillig nicht mitmachen, sei der falsche Weg, sagt Barbara Juen, denn man könnte eine wesentlich aktivere Beteiligung erzielen, wenn man anders mit den Menschen umgehen würde. Der Lockdown per se sei nicht das Problem - auch nicht eine etwaige Verlängerung desselben, sondern die Art, wie mit den Menschen gesprochen werde, so die Psychologin.
„Dialog ist das Stichwort“, erklärt Juen. „Man müsste mit den Zielgruppen in Kontakt treten und vor allem jene erreichen, die sich schwertun, die Maßnahmen einzuhalten.“ Bei Jugendlichen etwa über „Influencer“ - und denen transparent erklären, warum, wann und wie, welche Entscheidungen getroffen werden. „Wenn man die Anliegen der Menschen nicht erfüllen kann, dann sollte man ihnen wenigstens ihre Fragen beantworten“, sagt sie. Nach der Desillusionierungsphase sollte es sich übrigens im Mittelmaß einpendeln, das gehe aber nur, „wenn das Impfen nicht komplett schiefgeht und wieder ein bisschen mehr Normalität einkehrt“, so die Psychologin.
Ich teile nicht jedes Wort dieses verkürzt wiedergegebenen Artikels, aber die Grundgedanken stimmen. In Deutschland haben die Verantwortlichen zwar offener kommuniziert als in unserem Nachbarland, aber auch hier gab es Versäumnisse und Fehler. Da uns die Einschränkungen des „gewohnten Lebens“ noch länger beschäftigen werden, ist der angesprochene Dialog wichtiger denn je.
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In den letzten Monaten befasste ich mich an dieser Stelle auch immer wieder mit der Präsidenten-Wahl in den USA. Was sich in den letzten Tagen und Wochen dort abspielte, hätte ich nicht im Traum für möglich gehalten. Trump ist eine Gefahr für die Demokratie. Dass ihn fast 75 Mio. Amerikaner wählten, muss uns mit Sorge erfüllen und sagt viel aus über ein gespaltenes Land. Auf Präsident Joe Biden wartet viel Arbeit. Drücken wir ihm die Daumen. Hoffen wir auf eine würdige und friedliche Amtseinführung am 20. Januar. Darauf wetten will ich lieber nicht. Leider.
Bleiben Sie gesund!
Thomas Groll
Bürgermeister