„Der Mensch hat keinen Preis. Der Mensch hat Würde.“
Diese Worte wurden nach einem Gedanken Immanuel Kants, des großen deutschen Philosophen des 18. Jahrhunderts abgefasst und werden sich auf einer Platte am zukünftigen Gedenkort für die ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Neustadts und Mombergs auf dem neu gestalteten Rathausplatz befinden.
Im vergangenen Jahr hatten sich Bürgermeister, Erster Stadtrat, die Fraktionsvorsitzenden, der damalige Neustädter Ortsvorsteher und die jüdische Gemeinde Marburg zu mehreren Treffen mit dem Künstler Hans Schohl aus Kirchhain-Anzefahr zusammengefunden. Ausgehend von den Gesprächen entwickelte Schohl die Idee für diesen Erinnerungsort. Er formuliert selbst dazu:
„Wie könnte ein öffentlicher Gedenkort aussehen, der an die Niedertracht und Verbrechen der Nationalsozialisten erinnert? Wie sollte solch ein Ort des Erinnerns und Nichtvergessens gestaltet sein, um auch dann noch zu mahnen, wenn die letzten Zeitzeugen nicht mehr berichten können? Die eherne Gedenktafel mit Namen und Zahlen kann dies nur schwerlich leisten, sie ist zu weit weg vom Leben und Sterben, von Empathie und einfühlenden Menschen, die hinter den Namen und Zahlen stehen. Hier wird der Versuch unternommen, den Kampf gegen das Vergessen über ein fiktives Mitgestalten zu führen. Bürger der Stadt Neustadt (Hessen), erzählen eine fiktive Lebensgeschichte jeweils zu einem der mehr als einhundert ermordeten Juden und ihrer Stadt. Sie geben diesen Menschen dadurch eine persönliche Geschichte und damit ein „Gesicht“. Der Mensch hinter der Zahl wird durch die Fiktion lebendig. Der Leser wiederum liest diese Geschichte aus dem Hintergrund seines eigenen Lebens, seiner ganz persönlichen Erfahrungen seines Wissens. Beide, Verfasser und Leser, werden nun zu aktiven Mitgestaltern des Erinnerns. Bank und Tisch sind lediglich der Ort; die Erinnerung und Mahnung entsteht durch die Erzählung, im Autor und im Leser.“
Für das „Buch der Erinnerung“ das auf dem Tisch befestigt sein wird, hat Hans Schohl einen Artikel über das nicht gelebte Leben des Hans Lilienthal verfasst. Dieser wurde 1930 in Neustadt geboren und 1944 im KZ Ausschwitz im Alter von nur 14 Jahren ermordet. Hans Schohl stellt sich die Frage, wie dieses kurze Leben hätte weitergehen können. Es gäbe zahllose und unendliche viele Möglichkeiten wie dieser Lebensweg von Hans Lilienthal hätte weiter verlaufen können; auf schmalen Pfaden oder auf breiten Alleen, kurz oder lang, glücklich, chaotisch, traurig oder normal – was immer das auch bedeuten mag. Er verfasste „seinen“ Lebenslauf dieses nicht gelebten Lebens.
Ziel ist es nun, immer wieder neue Einträge für das „Buch der Erinnerung“ zu fertigen. Hierzu sind alle eingeladen. Auch die Schule kann sich hieran gerne beteiligen. Interessierte, die einen Eintrag fertigen wollen, der sich auf ermordete jüdische Mitbürgerinnen oder Mitbürger oder das jüdische Leben in Neustadt bezieht, können sich diesbezüglich gerne mit Bürgermeister Thomas Groll (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) und dem Vorzimmer in Verbindung setzen.