1.000 Worte – 2 Gedanken
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Samstagmorgen, 7.00 Uhr. Im Haus ist es noch ruhig, nur „der Papa“ ist am Wochenende schon so früh wach. Vorsichtig ziehe ich das Rollo in der Küche nach oben. Gegenüber sind die fünf Kühe von Bauer Nees aus der Hainmühle bereits munter. Das Gras im Garten ist mit einer feinen weißen Schicht überzogen. Frost. Ein paar Sonnenstrahlen sind auch schon da. Aurora habet aurum in ore („Morgenstund hat Gold im Mund“).
Einzig die Überschrift der „OP“, die ich gerade aus dem Briefkasten geholt habe, stört diese morgendliche Idylle: „Noch keine Trendwende – Corona: Drei weitere Todesfälle im Kreis“ steht dort auf Seite 1 zu lesen.
Ich stehe ein paar Minuten am Fenster und mache mir Gedanken über die neue Kolumne.
Nur noch drei Wochen bis zum 1. Advent und in knapp sieben Wochen ist dann schon Heiligabend. Glühwein, Weihnachtsmarkt, Plätzchenduft … Die schönste Zeit des Jahres ist bald wieder da. Wirklich? Habe ich da nicht die Zeitungsüberschrift einfach ausgeblendet?
Wie wird es denn 2020 sein, in Zeiten von Corona?
Die Weihnachtsmärkte fallen aus. Das gemütliche Beisammensein an der Glühwein-Bude findet nicht statt. Das Krippenspiel in gewohnter Form wird es diesmal in unseren Kirchen nicht geben. Leider. Aber wird deswegen Weihnachten in diesem Jahr komplett gestrichen?
Mitnichten. Natürlich findet das Fest statt, es wird nur anders sein, als wir es gewohnt sind. Kleiner und mit weniger „drum herum“ in den Wochen zuvor. Der „Kern“ der biblischen Geschehnisse von Bethlehem könnte dadurch aber wieder einmal stärker in den Mittelpunkt rücken. Viele – seien wir ehrlich – haben das doch längst ausgeblendet.
Papst Franziskus sagt: „Weihnachten ist oft ein lautes Fest: Es tut uns aber gut, ein wenig still zu werden, um die Stimme der Liebe zu hören.“
2020 wird Weihnachten leiser sein. Wir sollten bestrebt sein, es dennoch zu einem Fest zu machen, gerade für die Kinder. Plätzchen kann man beispielsweise auch in Zeiten einer Pandemie backen. An den Adventswochenenden muss man diesmal nicht von Markt zu Markt hetzen, sondern könnte im Lichte des Adventskranzes etwas spielen. Für mich sind die Samstage „frei“. Ungewohnt seit 13 Jahren. Wer, gerade als älterer Mensch, über die Feiertage wegen der aktuellen Lage nicht in die Kirche kommt, der könnte sich vor sein Krippchen setzen und eine Kerze anzünden, ein wenig nachdenken und die Weihnachtsgeschichte lesen. Auch das ist eine Form von Gottesdienst. Wenn wir die Zeit bis Weihnachten mit Vernunft nutzen, dann werden wir zum Fest auch die Großeltern besuchen können. Weihnachten fällt in diesem Jahr nicht aus!
Es ist ja selbst in Kriegszeiten, die ich aber keinesfalls mit der gegenwärtigen Pandemie vergleichen will, nicht ausgefallen.
Vor einigen Jahren sprach ich beim Volkstrauertag einmal über die „Stalingrad-Madonna“. Ein Sinnbild für die Hoffnung, die vom Weihnachtsfest ausgeht. Dabei handelt es sich um eine kleine Holzkohlezeichnung auf der Rückseite einer russischen Landkarte, die 1942 vom Pastor und Lazarettarzt Kurt Reuber (1906-1944) im Kessel von Stalingrad angefertigt wurde. Mit einem der letzten Transportflugzeuge gelangte das Bild nach Kassel. Zum Gedenken an die Opfer der Schlacht und Mahnung zum Frieden befindet sich das Bild seit 1983 in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Ein beeindruckendes Zeichen.
Wenn uns die Normalität wieder erreicht hat, und sie wird kommen, dann schauen sie sich dieses Bild doch einmal an.
Ein schönes Zitat, das auch die Hoffnung aufgreift, stammt vom großen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804): Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen. Selten, dass der große Denker so einfach und klar formuliert hat.
Damit wir gut bis zum 24. Dezember durchkommen braucht es im Kampf gegen Corona vor allem eines: Kondition und Disziplin. Gerd Gigerenzer, Psychologe und bekanntester Risikoforscher des Landes, hat dafür ein prägnantes Beispiel: „Sie müssen sich vorstellen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Wir sind mitten in einem Sturm, die Wellen brechen über uns herein. Wir wissen nicht, in welcher Richtung wir dem Unwetter am ehesten entrinnen können. Und doch ist es sinnvoll, wenn alle in eine Richtung rudern. Vielleicht ist es ja der richtige Kurs. Wenn nicht, dann müssen wir eben den Mut aufbringen, ihn zu korrigieren. Das ist deutlich besser, als wenn wir alle in verschiedene Richtungen rudern. So kommt man nämlich nie aus dem Sturm und auch nicht aus der Pandemie.“
Je länger der Corona-Orkan anhalte, so Gigerenzer, desto größer sei die Not an Bord. Die Hoffnung schwinde, die Zahl der Zweifler und Verzweifelten steige. Einige würden seekrank, andere zermürbt. Vielleicht drohe sogar eine Meuterei …
Diese Metapher des schwankenden Kahns passt doch recht gut zu unserer gegenwärtigen Situation. Nur im Miteinander werden wir erfolgreich sein, nicht im Gegeneinander.
Dabei kommt es auf jeden an: den Kapitän, die Offiziere und die Mannschaft. Alleine kann keiner etwas bewegen. Man muss sich auf einander verlassen können und auch Vertrauen haben.
Verlassen können wir uns gegenwärtig auf viele. Sie alle stehen unter erschwerten Bedingungen ihre Frau oder ihren Mann. Herzlichen Dank dafür.
Lassen Sie mich einmal den Fokus auf unsere Erzieherinnen in den KiTas „Regenbogen“ und „Sonnenschein“, dem Waldkindergarten und dem kirchlichen Kindergarten „Arche Noah“ Momberg-Mengsberg lenken. Sie haben es momentan – wie alle Erzieherinnen - nicht einfach und arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Herzlichen Dank dafür.
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„Und wenn sie nicht gestorben sind, so zählen sie noch heute …“ Dieser leicht abgewandelte Schlusssatz so vieler Märchen kam mir mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in den USA in den Sinn.
Am Dienstag wurde gewählt, bis Samstag wurde immer noch gezählt. Die „BILD“ sprach von einer „Kaugummiwahl“. Und auch wenn Joe Biden nun als Sieger festzustehen scheint, so ist doch noch nicht alles vorüber. Es wird nachgezählt, Gerichte werden bemüht und der unterlegene Kandidat mag die Entscheidung nicht anerkennen.
Zwar war der Wahlsieg Bidens nicht so klar, wie von vielen – auch von mir – erwartet, aber er ist dennoch eindeutig. Noch nie erhielt ein Wahlsieger in der Geschichte der Präsidentenwahlen so viele Stimmen wie der 77jährige und auch – was wichtiger ist – die Mehrheit der Wahlmänner aus den Bundesstaaten ist auf seiner Seite.
Und Donald Trump? Der tut genau das, was man erwarten musste: Er erweist sich als schlechter Verlierer. Der abgewählte Präsident zeigt noch einmal klar und deutlich, was er von demokratischen Spielregeln hält: Nichts.
Dieser Mann hat die Vereinigten Staaten gespalten und Europa und die USA entzweit. Mir ist es völlig unverständlich, wie er in Deutschland Sympathisanten haben kann. Seltsam, dass das zumeist dieselben sind, die hier bei uns gegen alles sind.
Auf Joe Biden kommt viel Arbeit zu. Drücken wir ihm die Daumen, denn das, was in den Vereinigten Staaten wirtschaftlich und politisch passiert hat immer auch Auswirkungen für Europa. Gerade uns Deutschen kann nicht egal sein, was „drüben“ passiert. Dafür haben wir den Amerikanern zu viel zu verdanken: Unsere Freiheit.
Kopf hoch, gesund bleiben!
Thomas Groll
Bürgermeister