1.000 Worte – 2 Gedanken
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
John C. Kornblum (*1937) ist ein pensionierter Diplomat und vertrat die Vereinigten Staaten von Amerika von 1997-2001 als Botschafter in Deutschland. Zuvor war er u.a. stellvertretender Kommandant des amerikanischen Sektors im seinerzeit noch geteilten Berlin. In dieser Funktion organisierte Kornblum die berühmte Ansprache von Präsident Ronald Reagan am 12. Juni 1987 vor dem Brandenburger Tor und verfasste die Aufforderung „Mr. Gorbachev open this gate. Mr. Gorbachev tear down this Wall“ für dessen Redetext. Prophetische Worte, die zwei Jahre später – am 9. November 1989 – Wirklichkeit wurden.
Wer den Diplomaten einmal in einer Talkshow erlebt hat weiß, dass er über Humor verfügt und zum „Verein für offene Aussprache“ gehört. Über den heutigen Präsidenten Donald Trump hat John C. Kornblum eine klare Meinung, die er immer wieder äußert. Hier einige Kostproben aus den letzten Tagen: „Trump ist nicht stabil und unberechenbar. Ich würde sogar sagen, er ist nicht voll zurechnungsfähig.“ „Trump ist zu allem fähig.“ „Er will nicht, dass man über Corona redet, wo er versagt hat und seine Politik tragische Folgen hat“. „Trump hat die Gefahr des Virus heruntergespielt und sich über Masken lustig gemacht. In dieser Frage ist er nun nicht mehr glaubwürdig.“
In meinen Augen hat Kornblum, der Träger des bekannten Aachener Karnevalsordens „Wider den tierischen Ernst“ ist, Trump treffend charakterisiert. Wie sehen Sie es?
Lassen wir doch noch einmal kurz die Geschehnisse der letzten zwei Wochen Revue passieren: Am 1. Oktober, dass der US-Präsident mit dem Corona-Virus infiziert ist. Einen Tag später kam er ins Militärkrankenhaus. Nicht einmal 48 Stunden danach ließ er sich in einer Limousine an seinen jubelnden Anhängern vorbeifahren und gerade einmal drei Tage nach seiner Einlieferung kehrte er bereits wieder ins „Weiße Haus“ zurück. Nun mimt Trump bereits wieder den starken Mann, dem das Virus nichts anhaben kann, der sich – O-Ton – „besser fühlt als vor zwanzig Jahren“ und der auf Twitter schreibt, dass die Grippe gefährlicher sei als COVID-19.
Sie kennen die Zahlen: In den USA sind über 7,5 Millionen Menschen infiziert und mehr als 210.000 Menschen infolge des Virus verstorben. Für den ersten Mann im Staate scheinbar völlig normal.
Letzte Woche vermutete ich an dieser Stelle, dass Donald Trump seine Erkrankung für den Präsidentschaftswahlkampf ausnutzen könnte. Leider habe ich wohl recht behalten.
Dieser Mann macht vor nichts halt. Er hat allen, die auf die Gefahren von Corona hinweisen, einen wahren Bärendienst erwiesen. Schön, dass er – angeblich – nicht ernsthaft erkrankt ist, aber hätte er es nicht dabei bewenden lassen und sich in Demut üben können? Stattdessen eine Inszenierung sonders Gleichen.
Mit großer Sorge sehen viele – auch ich – die rasant ansteigenden Fallzahlen in Deutschland und in vielen europäischen Ländern. Auch in Marburg-Biedenkopf müssen wir uns bei Fortgang der Entwicklung wieder auf spürbare Beschränkungen einstellen.
Was aber sollen wir denen entgegenhalten, die Corona leugnen, mahnende Worte – auch hier bei uns in Neustadt - oder die aktuellen Verhaltensregeln für überzogen halten, wenn Donald Trump, der vermeintlich mächtigste (nicht klügste!) Mann der Welt, das Virus völlig verharmlost?
Man mag über die Bundeskanzlerin denken was man will, sie zeigt uns aber seit Monaten was Verantwortungsbewusstsein heißt. Wenn Corona wirklich so harmlos ist, wie wir es gerade aus dem Oval Office Washington hören, dann müssen doch alle Regierungen in Europa unfähig sein, denn wer gefährdet schon seine Wirtschaft, erschwert Kinderbetreuung oder Bildung für eine harmlose, rasch vorüberziehende Erkrankung?
Eines hat sich seit dem Aufkommen der Pandemie im März 2020 leider noch nicht verändert: Wir alle wissen nicht, auf wen wir letztlich hören sollen, zu oft widersprechen sich gerade die Wissenschaftler – auch Prof. Dr. Henrik Streeck, der Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Bonn. In einem hat er aber völlig recht: Angst ist ein schlechter Ratgeber im Kampf gegen Corona. Wir müssen vielmehr eine neue Routine entwickeln, uns vor Sorglosigkeit hüten und mit dem Risiko klug umgehen, denn COVID-19 wird uns noch lange begleiten. Von daher appelliere ich an unser aller Vernunft! Gesundheitsminister Jens Spahn ist zuzustimmen, wenn der sagt, dass Corona ein Charaktertest sein, den wir alle nur gemeinsam meistern können.
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Kürzlich wurde ich darauf angesprochen, dass die Zitate in meinen Texten ja durchaus interessant seien, aber fast nur Männer zu Worte kämen. Das stimmt wohl und ich gelobe daher Besserung. Den Anfang mache ich mit einem Ausspruch von Eleanor Roosevelt (1884 – 1962), die Menschenrechtsaktivistin und Diplomatin war die Ehefrau von Franklin D. Roosevelt (1882 – 1945), der von 1933 – 1945 als 32. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika amtierte und durch seine politischen Entscheidungen großen Anteil am Sieg der Alliierten gegenüber Hitler hatte: "Eine Frau ist wie ein Teebeutel - du kannst erst beurteilen, wie stark sie ist, wenn du sie ins Wasser wirfst."
Starke Frauen gab es zu allen Zeiten: Königin Elizabeth I. (1533-1603), Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) oder Zarin Katharina die Große (1729-1796). Die Geschichtsbücher sind voll von ihnen und ihren Leistungen. Wir müssen nur einmal nachschauen.
In diesen Tagen wurden die Nobelpreise verliehen. Den Nobelpreis für Physik erhielt u.a. die US-Amerikanerin Andrea Ghez. Unweigerlich dachte ich dabei an Marie Curie (1867 - 1934), die auch eine solche starke Frau war. Die Physikerin und Chemikerin polnischer Herkunft lebte und wirkte in Frankreich. Sie untersuchte die 1896 von Henri Becquerel beobachtete Strahlung von Uranverbindungen und prägte für diese das Wort „radioaktiv“. Im Rahmen ihrer Forschungen, für die ihr 1903 ein anteiliger Nobelpreis für Physik und 1911 der Nobelpreis für Chemie zugesprochen wurde, entdeckte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre Curie die chemischen Elemente Polonium und Radium. Marie Curie ist die einzige Frau unter den vier Personen, denen bisher mehrfach ein Nobelpreis verliehen wurde, und neben Linus Pauling die einzige Person, die Nobelpreise auf zwei unterschiedlichen Fachgebieten erhielt.
Aber man muss nicht in den Geschichtsbüchern stehen, um eine „starke Frau“ zu sein. Gerade in Corona-Zeiten kam und kommt es auf die Frauen an. Sie kümmern sich noch stärker als sonst um die Kinder, waren für das Home-Schooling verantwortlich, sind oftmals die Bezugspersonen für Eltern oder Großeltern. Chapeau.
Zum Abschluss noch ein „weibliches“ Zitat, diesmal von Marie von Ebner-Eschenbach (1830 – 1916), einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts: „Über das Kommen mancher Leute tröstet uns nichts als die Hoffnung auf ihr Gehen.“ Genau wie bei Corona.
Ihnen alles Gute.
Thomas Groll
Bürgermeister