1.000 Worte – 2 Gedanken
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
„Als man dies im Dorf erfuhr,
war von Trauer keine Spur.
Witwe Bolte, mild und weich,
sprach: "Sieh da, ich dacht es gleich!
…
Kurz, im ganzen Ort herum
ging ein freudiges Gebrumm:
"Gott sei Dank! Nun ist´s vorbei
mit der Übeltäterei!"
Die meisten von Ihnen werden diese zwei Verse sicher noch aus ihrer Kindheit kennen. Sie bilden den Schluss der sieben Streiche von Max und Moritz und stammen ebenso wie die dazugehörigen Zeichnungen aus der Feder von Wilhelm Busch (1832-1908), einem der bedeutendsten humoristischen Dichter und Zeichner Deutschlands.
Witwe Bolte, Meister Böck, Lehrer Lempel und der gute Onkel Fritz verspüren am Ende der Geschichte Schadenfreude und sicher auch Genugtuung darüber, dass die beiden inzwischen geschroteten Lausbuben, die ihnen ja so übel mitspielten, von Meister Müllers Federvieh verspeist werden.
Als Schadenfreude wird allgemein die Freude über das Missgeschick oder Unglück anderer Menschen bezeichnet. Sie kann versteckt empfunden werden oder sich offen als Spott oder Häme zeigen.
Häme widerfuhr am vergangenen Wochenende auch Donald Trump, der sich ebenso wie seine Gattin mit Corona angesteckt hatte. Bisher galt für den US-Präsidenten im Hinblick auf das Virus ja eher schönreden, verdrängen und leugnen. Das Tragen einer Maske lehnte er bisher grundsätzlich ab. Trotzig wie ein kleines Kind führte er Wahlversammlungen mit tausenden von Anhängern in engen Hallen durch. Muss man sich da wundern, dass seine Erkrankung bei vielen Menschen nicht Mitgefühl, sondern Spott ausgelöst hat? Wohl kaum.
Trump ist übrigens nicht der erste Politiker, der an Covid-19 erkrankte. Wir erinnern uns auch an Großbritanniens Premierminister Boris Johnson und Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro. Bei dem einen führte die Erkrankung durchaus zum politischen Sinneswandel, der andere hingegen reagierte mit Show.
Wegweisend sind für mich die Worte des französischen Wirtschafts- und Finanzministers Bruno Le Maire, der nach Ablauf seiner Quarantäne-Zeit sagte: „Wenn Sie all jene, die Sie lieben, beschützen wollen, dann verhalten Sie sich bitte nicht egoistisch und respektieren die Sicherheitsmaßnahmen.“
Natürlich sollten wir auch Donald Trump, der aufgrund seines Alters von 74 Jahren zu einer Risikogruppe gehört, gute Genesung wünschen, so wie es sein Kontrahent um die Präsidentschaft Joe Biden getan hat. Aber haben wir nicht zugleich die Sorge, dass dieser unberechenbare Politiker versuchen könnte, die Infektion zu seinen Gunsten auszunutzen? Seine nächtliche „Ausfahrt“ gibt hier schon zu denken ….
Eines zeigt das Geschehen im Weißen Haus in Washington deutlich: Corona ist überall gegenwärtig und kann uns alle treffen. Wer die Gefährlichkeit des Virus immer noch leugnet und sich an keine der Vorgaben und Ratschläge hält, der gefährdet letztlich nicht nur sich, sondern auch andere und ist damit, anknüpfend an die obigen Worte von Bruno Le Maire, ein Egoist.
Reißen wir im Herbst nicht auf die Schnelle ein, was wir uns gemeinsam im Frühjahr und Sommer mühsam erarbeitet haben. Man kann es nicht oft genug sagen. Passend dazu ein Ausspruch von Molière (1622-1673), dem großen französischen Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker des 17. Jahrhunderts: „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.
Hoffentlich rüttelt die Erkrankung nicht nur den US-Präsidenten selbst wach, sondern auch viele andere. Allerdings habe ich durchaus die leise Befürchtung, dass wir bald bei Twitter in einer seiner berühmten Kurzbotschaften lesen könnten: „Alles halb so wild. Ein Schnupfen ist schlimmer.“ Das wäre fatal, denn es würden sich dann leider etliche Menschen finden, die sich dann in ihrer Sichtweise bestärkt fühlten.
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Am letzten Samstag war bekanntlich der 3. Oktober. Da war doch was? JA, da war was! Wir konnten auf dreißig Jahre deutsche Einheit zurückschauen. Gefeiert wurde Corona-bedingt nicht. Aber Hand aufs Herz: Hätten wir ohne die Pandemie dieses herausragende Ereignis unserer Geschichte angemessen gefeiert? Hätten wir uns über das Erreichte einfach laut und vernehmbar gefreut? Wohl kaum. Leider.
Nicht zu Unrecht heißt es, dass der größte Verband in Deutschland der Bundesverband der Bedenkenträger sei.
Warum gehen wir so stiefmütterlich mit diesem Geschenk der Geschichte um?
17 Millionen Menschen haben sich im Wendeherbst 1989 ihre Freiheit mit friedlichen Mitteln erkämpft. Darauf können sie, darauf können wir alle zu Recht stolz sein. Städte wie Weimar, Leipzig oder Dresden sind doch heute kaum wiederzuerkennen. Trotz aller noch vorhandenen Unzulänglichkeiten blüht es dort inzwischen, um mit Bundeskanzler Helmut Kohl (1930-2017) zu sprechen. Das Grau der DDR ist verschwunden, moderne Großstädte mit Geschichte und Flair sind entstanden.
Von dem US-amerikanischen Philosophen spanischer Herkunft George Santayana (1863-1952) stammt der Satz “Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen”.
Gerade wir Deutschen haben über die Jahrhunderte hinweg oftmals wenig aus unserer wechselvollen Historie gelernt. Umso erfreulicher ist doch die Zeit nach dem II. Weltkrieg. Diese Erfolgsgeschichte ist einmalig und müsste viel öfters positiv herausgestellt werden.
Wichtig ist aber auch, dass wir die Vergangenheit unseres Landes kennen. Dies gilt insbesondere für die jüngere deutsche Geschichte. Gerade die Jüngeren wissen viel zu wenig über das Leben in der DDR, dem Leben in einer Diktatur.
Leonie hat sich kürzlich selbst (!) ein Büchlein ausgesucht. Dessen Titel lautet „Wie war das in der DDR – Einblicke in die Zeit des geteilten Deutschland.“ Nein, keine hochtrabende Lektüre, sondern Fakten, Hintergründe und Erlebnisberichte für Kinder ab 8 Jahren. Selbst für Erwachsene lohnt sich ein Blick hinein.
Wäre die Akzeptanz für den Tag der deutschen Einheit übrigens größer, wenn wir ihn am 9. November feiern würden? Ich glaube schon. Helmut Kohl – so wird kolportiert – suchte damals nach einem Tag im Herbst, an dem im langjährigen Mittel das Wetter am schönsten sei und die Antwort des Wetterdienstes sei eben der 3. Oktober gewesen. Das klingt nett, dürfte aber sicher nicht der (Haupt-) Grund gewesen sein. Man wollte einfach nicht den historisch belasteten 9. November – Abdankung des Kaisers/Ausrufung der Republik 1918, Pogromnacht 1938 – als Feiertag. Im Nachhinein betrachtet ein Fehler. Am 9. November 1989 fiel die Mauer in Berlin. Dies war der Tag, an dem hunderttausende Menschen jubelten und „begann wieder zusammen zu wachsen, was zusammen gehört“ (Willy Brandt).
Ich hoffe, liebe Leser, das neue Format gefällt Ihnen, ab jetzt heißt es „1.000 Worte – 2 Gedanken“.
Bleiben Sie gesund!
Thomas Groll
Bürgermeister