„… liebe Väter haben sie Mut: Nennen sie ihre Neuankömmlinge Waldemar.“
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
„Ils sont fous, ces romains!“ („Die spinnen, die Römer!“), so lautet ein geflügeltes Wort von Obelix, dem Freund und ständigen Begleiter des mutigen kleinen Galliers Asterix. Gemünzt ist dieser Ausruf auf die Soldaten aus dem Lager „Kleinbonum“, die im Auftrag des Kaisers aus dem fernen Rom endlich das benachbarte namenlose Dorf der beiden Comic-Helden einnehmen sollen. Die Legionäre sind allerdings nicht die cleversten und scheitern daher immer wieder - nicht zuletzt auch dank des Zaubertrankes des Druiden Miraculix - an ihrem Auftrag.
Ansonsten trifft die Aussage von Obelix, der stets einen Hinkelstein mit sich führt, über die Römer aber nicht zu. Vielmehr zählen sie zu den Hochkulturen der Antike. Viele Erfindungen gehen beispielsweise auf ihr Wirken zurück: Die städtische Wasserversorgung über Aquädukte, die öffentlichen Toilettenanlagen, die Fußbodenheizung oder die mit Gefälle gepflasterten Straßen, damit das Wasser ablaufen konnte – alles Errungenschaften aus der Zeit der Römer. Bei einem Besuch im wiederaufgebauten Kastell Saalburg im Vordertaunus kann man übrigens viel Wissenswertes über das römische Leben in Germanien erfahren. Durchaus einmal ein lohnendes Ziel für einen Ausflug, vielleicht in den Herbstferien.
Auf die „alten Römer“ gehen aber nicht nur herausragende Erfindungen oder bedeutsame Bauten wie die Porta Nigra, das wahrscheinlich besterhaltene Stadttor der Antike, in Trier oder das Amphitheater im französischen Orange, das ich vor über dreißig Jahren beim Schüleraustausch besuchte, zurück, sondern auch viele Zitate und Lebensweisheiten, die uns nach zweitausend Jahren immer noch etwas zu sagen haben.
Ein solches die Jahrhunderte überdauernde Wort stammt von Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr.- 65 n. Chr.). Der Philosoph, Naturforscher und Politiker sagte einmal: „Wie töricht ist es, Pläne für das ganze Leben zu machen, wo wir doch nicht einmal Herren des morgigen Tages sind.
Am letzten Freitag erging es mir so. Alles das, was ich zuvor für diesen Tag geplant hatte, ließ sich nicht umsetzen.
Am Abend wollte ich ursprünglich meinen wöchentlichen Text an Sie abfassen. Da war aber die Tochter davor, die nun endlich die Einlösung eines Versprechens einforderte und mit dem Papa eine Folge von „Dick und Doof“ anschauen wollte. Da ihr die US-amerikanische Filmkomödie „Wir sind vom schottischen Infanterie-Regiment“ aus dem Jahr 1936 gut gefiel und für manchen Lacher sorgte, dürften Stan Laurel und Oliver Hardy wohl alsbald nochmals bei Leonie gastieren.
Vormittags standen laut Kalender einige Termine im Büro an, die aber kurzfristig verlegt werden mussten. Stattdessen fuhr ich nach Altenstadt zur Beisetzung meiner Sekretärin aus Bauernverbandzeiten, die mit gerade einmal 62 Jahren an Krebs verstorben war. Die Schweizer Musikerin Lilo Keller hat recht, wenn sie feststellt, dass der Krebs die moderne Pest sei. Nicht nur ich frage mich, wann gegen diese „Geißel der Menschheit“ endlich ein wirksames Mittel gefunden wird.
Auf dem Weg zur Beerdigung fuhr ich bewusst nicht die A 5 und die A 45 entlang, sondern durchquerte die Wetterau von Butzbach über Friedberg und Florstadt nach Altenstadt. So konnte ich feststellen, dass diese Gegend, in der ich acht Jahre als Regionalgeschäftsführer des Bauernverbandes tätig war, nach wie vor die Kornkammer Hessens ist, dass aber auch hier aufgrund von Bautätigkeiten die Ackerflächen zurückgehen. Um die wertvollen Böden in diesem Landstrich wussten übrigens auch schon die Römer, die den Limes um die fruchtbare Aue der Wetterau herumgezogen hatten, um so ihre Ernährung zu sichern.
Ein polnisches Sprichwort lautet übrigens: „Wo der Bauer arm ist, da ist das ganze Land arm.“ Hierüber lohnt es sich nicht nur in der Erntezeit einmal nachzudenken.
Wenn ich wie am letzten Freitag mit dem Auto unterwegs bin, dann höre ich übrigens immer B 5 aktuell oder HR-Info. Mit Musik kann ich nämlich recht wenig anfangen, ich will lieber kurz und knapp über Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur informiert werden.
Bei HR-Info gab es an diesem Tag eine kleine Serie mit dem Titel „Das wäre ihr Tag gewesen“. Dabei ging es um die Olympischen Spiele in Tokio, die vom 23. Juli – 8. August 2020 in der japanischen Hauptstadt stattgefunden hätten, wenn, ja wenn, es keine Corona-Pandemie gäbe. Am 7. August hätte beispielsweise Timo Boll mit dem deutschen Tischtennis-Team um eine Medaille kämpfen sollen. So aber sind nicht nur für ihn vier Jahre der Vorbereitung einfach so dahin. Schlimm.
In dem Beitrag wurden auch Teile einer Reportage von 2016 eingespielt, als Boll & Co. im brasilianischen Rio die Bronzemedaille gewannen. Der Kommentator machte damals seine Sache sehr gut. Man dachte, direkt in der Halle dabei zu sein. Das ließ in mir den Entschluss reifen, ein Drittes über den Haufen zu werfen, nämlich das ursprünglich vorgesehene Kolumnen-Thema für diese Woche. Ich verrate es Ihnen heute nicht und komme vielleicht ein anderes Mal darauf zurück.
Bei der Heimfahrt dachte ich animiert durch den Radiobeitrag an einige Sportreportagen, die wohl nicht nur mir unvergesslich sind. An „Sternstunden“ von Funk und Fernsehen, ermöglicht durch großartige Sportler und herausragende Reporter. Eine Mixtur, die wohl nicht nur ich in unserer heutigen schnelllebigen Zeit allzu oft vermisse. Und wieder einmal ertappe ich mich dabei, dass ich über die vermeintlich „gute alte Zeit“ philosophiere. Aber wir wissen ja, dass der Schauspieler Martin Held (1908-1992) Recht hat, der einmal sagte: „Auch die gute alte Zeit war einmal eine schlechte neue.“
Erinnern Sie sich? Wenn nicht, schauen Sie doch einfach einmal bei YouTube nach, es lohnt sich.
„Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Toooor! Toooor! Toooor!“ – das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 Deutschland gegen Ungarn (3 - 2) und der Kommentar von Herbert Zimmermann. 60 Jahre später hatten wir bei unserer zeitgeschichtlichen Veranstaltungsreihe Horst Eckel, einen der „Helden von Bern“, in Neustadt zu Gast. Die Unterhaltung mit ihm gehört für mich zu den unvergesslichen Erlebnissen.
„Und Halla wusste, um was es geht. Sie hat Winkler bis ins Ziel getragen. Dieses Pferd – wie kann man solche Treue lohnen…“ – Olympische Spiele 1956/Reitwettbewerbe in Stockholm. Der Ritt des verletzten Hans-Günter Winkler (Leistenbruch!) auf der „Wunderstute“ Halla zur Goldmedaille im Einzel und mit der Mannschaft und Hans-Heinrich Isenbarth am Mikrofon.
„Behle, wo ist Behle?“ – Die Suche von ZDF-Reporter Bruno Moravetz nach dem Skilangläufer Jochen Behle bei den Olympischen Spielen 1980 in Lake Placid.
„Flieg Albatros, flieg!“ – der Gewinn der Goldmedaille von Michael Groß über 100 m Schmetterling bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles und der Ausruf von Jörg Wontorra. Ich hörte diese packende Reportage übrigens am frühen Morgen im Bus auf der Fahrt nach Berlin. Erstmals ging es damals mit Mutter und Großeltern in die geteilte deutsche Hauptstadt. Die Mauer am Brandenburger Tor, ein Bild das ich nie vergessen werde. Wer heute nach Berlin kommt, kann sich dies nicht mehr vorstellen. Wir dürfen aber die Vergangenheit nicht vergessen, denn der Ausspruch des US-amerikanischen Philosophen George Santayana (1863-1952) „Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist dazu verdammt, sie noch einmal zu erleben“ ist leider wahr.
Aber nicht nur im Westen Deutschlands gab es unvergessliche Sportreportagen, sondern auch in der DDR. Die bekannteste stammt zweifellos von Heinz Florian Oertel, er verfügte über ein ausgeprägtes Fach- und Detailwissen und ließ die Zuschauer stets seine persönliche Begeisterung spüren.
Sein Meisterstück lieferte er bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau ab. Waldemar Cierpinkski gewann dort zum zweiten Male nach Montreal 1976 eine Goldmedaille im Marathonlauf. Oertel kam aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus und rief ins Mikrofon: „Liebe junge Väter oder angehende, haben Sie Mut! Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages ruhig Waldemar. Waldemar ist da!“
Als ich Leonie von der Überschrift dieser Kolumne erzählte fiel ihr doch glatt ein Lied aus der ersten Klasse ein: „Mein Dackel Waldemar und ich, wir zwei, wohnen in der Regenbogenstraße 3 …“
Einen erfolgreichen Marathonläufer wie Waldemar Cierpinski zeichnet drei Dinge aus: Ausdauer, Disziplin und Zielstrebigkeit. Mit solchen Verhaltensweisen kann man sich aber nicht nur im Sport Meriten verdienen, sondern wird auch gegenüber dem Corona-Virus erfolgreich sein. Wer aber im Sport mit dem Training nachlässt (oder in der Schule mit dem Üben) und sich letztlich vom „inneren Schweinehund“ besiegen lässt, der gerät über kurz oder lang aus der Erfolgsspur. Auch dies ist bei Corona nicht anders.
Ansgar Puff, Weihbischof in Köln und ein herausragender Prediger, hat in der letzten Woche einen Text mit der Überschrift „Respekt vor dem Virus verloren“ veröffentlicht. Der geistliche Würdenträger hält uns damit den Spiegel vor die Augen. Fragen wir uns, ob wir alle noch in der Erfolgsspur sind:
„Trotz der steigenden Infektionszahlen werden viele des Corona-Virus überdrüssig. … Wir haben uns in den letzten Monaten zusammengerissen, uns in einem nie gekannten Ausmaß beschränkt, auf Grundrechte verzichtet, finanzielle Einbußen akzeptiert. ... Wir haben in diesen Zeiten viel gelernt. Wie wichtig Familie und Zusammenhalt sind. … Dann sanken die Zahlen. Wir hatten es geschafft. Entwarnung, endlich wieder normal leben. Die Menschen bewegen sich inzwischen in Kneipen und Einkaufsstraßen, als sei nie etwas gewesen. Junge Menschen machen nächtelang Party und in die Erleichterung mischt sich Trotz: „Ich lasse mir nicht vorschreiben, wie ich zu leben habe. … Viele haben in den letzten Wochen den Respekt vor Corona verloren. Aber nur, weil wir die Nase von Corona voll haben, ist das Virus nicht weg. Jetzt kommt es wieder. … Und langsam dämmert es uns: Diese Krise wird sehr, sehr lange dauern. …“
In diesen Tagen steigen die Temperaturen an und leider auch die Fallzahlen bei Corona. Die Gründe dafür hat Weihbischof Puff in meinen Augen in seinem Statement sehr gut herausgearbeitet. Gut, dass nach einer Umfrage von RTL 91 % der Deutschen kein Verständnis für die aktuellen Corona-Demonstrationen haben.
Der Fußballer Thomas Bertold scheint dies anders zu sehen. Er nahm am Samstag an einer Demo in Stuttgart teil und sagte dort u.a.: „Mein Vertrauen in die politische Führung … ist bei unter Null angekommen. Weil wir von Spekulationen von eins, zwei Wissenschaftlern besudelt werden … wird unser Leben eingeschränkt. … Jeder muss selbst entscheiden, ob er eine Maske aufsetzt. …“. Herr Bertold scheint seit längeren keinen GEZ-Beitrag mehr zu zahlen, denn Fernsehen oder Radio verfolgt er ja augenscheinlich nicht. Vielen ist aus seiner Karriere übrigens (nur) die Zeit bei Bayern München in Erinnerung geblieben, aber nicht wegen großer Erfolge, sondern allein aufgrund der Tatsache, dass ihn der Trainer fast ein Jahr wegen Meinungsverschiedenheiten auf die Tribüne verbannte. Der Bayern-Schatzmeister sprach seinerzeit von „Deutschlands bestbezahlten Golfprofi nach Bernhard Langer.“ Auf Thomas Bertold trifft augenscheinlich leider ein Wort des großen Schauspielers und Regisseurs Curt Goetz (1888-1960) voll und ganz zu: „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
Ich wünsche uns allen, dass wir auch in den nächsten Wochen die Eigenschaften von Waldemar, dem Marathonläufer zeigen: Ausdauer, Disziplin und Zielstrebigkeit.
Thomas Groll
Bürgermeister