„Heile, heile Gänsje, es is bald widder gut …“
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
mein Sommerurlaub ist zu Ende. Von „Terrassien“ aus ging es in den Wildpark Knüll, an den Edersee, zum Kletterwald nach Marburg und in den Opel-Zoo nach Kronberg. Allesamt lohnenswerte Ziele in unserer hessischen Heimat. Für uns galt in diesem Jahr nämlich ein Wort aus Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Vierzeiler „Erinnerungen“: „Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“
Wollten Sie nicht auch schon immer einmal drei tapsigen Bärenkindern beim Spielen zusehen? Wer von Ihnen hat beispielsweise den Edersee schon einmal mit eigener Muskelkraft auf Schienen mit einer Draisine entdeckt? Wessen Kinder haben sich bereits einmal wagemutig in 10 m Höhe von Baum zu Baum gehangelt? Wann waren Sie das letzte Mal bei Hessens einzigen Elefanten im Taunus zu Besuch? Die nächsten Wochen bieten Ihnen noch die Gelegenheit, diese Fragen zu beantworten.
Georg von Opel (1912-1971), ein – wen wundert es bei diesem Nachnamen- Automobilhändler, erfolgreicher Sportler und Sportfunktionär hat 1956 das nach ihm benannte Freigehege zur Tierforschung, den heutigen Opel-Zoo, gegründet. Der Enkel Adam Opels gehörte zu jener Generation von Unternehmern, deren Denken und Handeln nicht auf den eigenen Profit beschränkt war, sondern die sich auch aktiv in die Gemeinschaft einbrachte und ihre finanziellen Möglichkeiten nutzte, um anderen etwas zu geben.
Wie gut wäre es, wenn die gegenwärtigen Eigentümer der Mietshäuser in der Leipziger Straße auch nur etwas von diesem Unternehmergeist hätten! Dort liegt gegenwärtig leider nicht nur die Pflege der Grünanlagen im Argen. Die Kommune weiß um die Missstände. Wir reden, telefonieren, schreiben und tun, aber müssen - da es dabei in vielen Bereichen um Privatrecht geht – doch die Begrenztheit unserer Möglichkeiten erkennen. Gleichwohl werden wir nicht aufgeben und gemeinsam mit dem Quartiersmanagement im Rahmen des Städtebauförderungsprogrammes „Soziale Stadt“ und der Gemeinwesenarbeit alles daran setzen, in den nächsten Wochen eine „Koalition der Willigen“ auf den Weg zu bringen. Hier sind dann neben den Eigentümern auch die Mieter gefordert, sich einzubringen.
Auffällig bei unseren Ferientouren war, dass sich doch recht viele Erwachsene nicht an die Abstandsregeln hielten, sich etwa vor Gehegen drängelten und dabei die Kinder, die dort schon standen, kaum beachteten. Ob das in den Ferienzielen an Nord- und Ostsee wohl anders ist? Gerade Eltern sollten doch in der gegenwärtigen Situation als Vorbilder fungieren. Wie hat doch Prinz Charles, der britische Langzeit-Thronfolger, einmal gesagt: „Auch in einem Königshaus lernt man, wie die Affen lernen: Man orientiert sich an den Eltern.“
Während die Tochter noch fast zwei Wochen Schulferien hat, bin ich nun wieder im Rathaus zu Gange und erfahre dort das Wichtige aus erster Hand und nicht mehr „nur“ per Email oder WhatsApp. Nachdem mich der Erste Stadtrat vierzehn Tage vertreten hat, werde ich nun selber wieder agieren und darauf freue ich mich, denn auch nach über dreizehn Jahren bin ich gerne Bürgermeister unserer Kommune. Ich sage mir immer: Wer mit Missmut zur Arbeit geht, der kann auch Nichts erreichen.
Vielmehr finde ich ein Wort des griechischen Universalgelehrten und Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.) Mut machend und anspornend, der einmal sagte: „Freude an der Arbeit lässt das Werk trefflich geraten.“
Darauf hoffend, gehe ich mit den Mitarbeitenden der Stadtverwaltung und allen in der Kommunalpolitik Tätigen die Aufgaben der nächsten Wochen und Monate trotz aller damit verbundenen Herausforderungen mit Optimismus an.
Unsere aktuellen Großvorhaben – Neubau des Kultur- und Bürgerzentrums, grundhafte Sanierung und Attraktivierung des Freibades, Sanierung und barriererefreie Umgestaltung des Hallenbades, städtebauliche Aufwertung und barrierefreie Sanierung des Rathausplatzes, Anbau eines Mehrzweckraumes an den Kindergarten „Arche Noah“ Momberg-Mengsberg und die grundhafte Sanierung der Querallee – müssen weiter vorangebracht bzw. abgeschlossen werden. Die Planungen für den Haushalt 2021, der u.a. investive Schwerpunkte für die Stadtteile enthalten soll, beginnen Ende August und wir müssen uns dabei mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die negativen finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unsere Stadtkasse meistern wollen. Dies ist allerdings ein wenig so, wie in der Glaskugel zu lesen, denn die Unbekannten sind doch nach wie vor recht groß. Aber wie hat schon der Münchner Humorist Karl Valentin (1882-1948) einst gesagt: „Prognosen sind schwierig, insbesondere dann, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Für alle vor uns liegenden Aufgaben gilt der Anfang des Songs „Bruttosozialprodukt“ der Gruppe „Geiersturzflug“ aus dem Jahre 1983: „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt … .“
Wie ist es Ihnen denn in den letzten zwei Wochen ergangen? Waren Sie schon im Urlaub oder steht dieser noch an? Bleiben auch Sie zu Hause und nutzen Angebote in der Region? Halten Sie sich stets an die „AHA“-Regel – Abstand, Hygiene und Alltagsmaske? Verfolgen auch Sie die aktuellen Nachrichten durchaus mit ein wenig Sorge und Nachdenklichkeit?
Das Corona-Virus hält die Welt weiterhin in Atem: Mehr als 17 Millionen Menschen haben sich bisher mit dem Erreger infiziert. „Nur“ 210.000 davon in Deutschland. Die USA, Brasilien oder Indien melden nahezu täglich neue traurige Rekordzahlen bei Infizierten und Toten. Auch in Deutschland steigen die Zahlen seit Tagen wieder überall erkennbar an. Gott sei Dank aber noch auf einem vergleichsweise geringen Niveau.
Vor diesem Hintergrund kann ich über die große Demonstration in Berlin nur mit dem Kopf schütteln. Über 20.000 Menschen hatten sich dort am letzten Samstag ohne Abstands- und Hygieneregeln vor dem Brandenburger Tor versammelt, um – so war auf Plakaten zu lesen – „das Ende der Pandemie und den Tag der Freiheit“ zu fordern. Schauen diese Menschen keine Nachrichten oder schenken sie objektiven Fakten keinen Glauben? Dass dabei noch fünfundvierzig Polizisten verletzt wurden oder Journalisten massiv bei der Arbeit behindert und sogar bedroht wurden, scheint für viele nur „Nebensache“ zu sein. Trotz Demonstrationsfreiheit darf es soweit nicht kommen. Hier hätte der Berliner Senat frühzeitig einschreiten müssen.
Den Wortführern der Demonstranten möchte ich ein Wort des Reformators Martin Luther (1483-1546) entgegenhalten, der einmal gesagt hat: „Die Lüge ist wie ein Schneeball, je länger man ihn wälzt, desto größer wird er.“ Schneebälle schmilzen allerdings irgendwann …
Wir dürfen in Deutschland jetzt nicht Corona-müde werden und uns auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen. Viele von uns sind in den letzten Wochen leichtsinniger geworden und lassen es nun etwas schleifen. Aber jeder, der das Virus verharmlost, ist bisher wiederlegt worden. Ich befürchte, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat Recht, wenn er sagt, dass die zweite Welle bereits durch Deutschland schleiche, denn leider hat er sich seit März in „Sachen Corona“ kaum geirrt.
Wir alle, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, müssen (und können!) etwas dafür tun, dass es zu keinem zweiten vollständigen „Lockdown“ kommt. Wir können Wirtschaft, Schulen und Kindergärten schwerlich erneut wochenlang lahmlegen. Verantwortung und Nachdenken sind daher gefragt. Es darf keinen „heißen Herbst“ mit ungeahnten Folgen geben.
Für meinen Teil habe ich mich entschieden, diese Kolumne doch noch ein wenig fortzusetzen. Vielleicht nicht jede Woche, manchmal auch etwas kürzer und nur auf einen Gedanken fokussiert, ganz wie es die Zeit zulässt. Aber ich möchte Sie doch weiterhin wissen lassen, was mich in diesen „besonderen Tagen“ bewegt.
Ein positives Beispiel für den Umgang mit Corona möchte ich Ihnen heute zum Abschluss nicht vorenthalten.
Die Fans des Fußball-Bundesligisten FSV Mainz 05 spenden mit einer tollen Solidaritätsaktion (www.supporters-mainz.de) Trost in der Krise. Um Ostern herum tauchten in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt erstmals Plakate und Handzettel mit einem Satz auf, denn jedes Kind in Mainz kennt: „Heile, heile Gänsje, es is bald widder gut …“.
Es handelt sich dabei um den Refrain eines bekannten Fastnachtsliedes, der seit dem 19. Jahrhundert überliefert ist und von Müttern nach einer schmerzhaften Verletzung kleiner Kinder in tröstender Art aufgesagt wurde. 1929 wurde dann das Lied erstmals vorgetragen. Richtig populär wurde es ab 1952, als der singende Dachdeckermeister Ernst Neger (1909-1989), ein Unikum der Mainzer Fastnacht, die Zeilen neu interpretierte. In der Nachkriegszeit gab das Lied den Menschen Mut und Zuversicht und selbst erwachsene Männer schämten sich ihrer Tränen nicht, als Ernst Neger vom zerstörten Mainz sang, dass ganz sicher wieder aufgebaut werde.
Mut und Zuversicht wollen auch die Fans von Mainz 05 mit ihrer Aktion machen. T-Shirts, Aufkleber und Jutebeutel wurden mit einer roten Gans mit Schal bedruckt und die durch den Verkauf erzielten Einnahmen werden für wohltätige Zwecke gespendet.
Diese Grundhaltung „Heile, heile Gänsje, es is bald widder gut …“ sollten auch wir uns zu Eigen machen. Ja, es wird wieder gut, wenn wir, jeder von uns, seinen Teil dafür tut. Die Corona-Regeln sollen uns nämlich nicht in unserer Freiheit beschränken, sondern uns schützen.
Der angesprochene Fastnachtsschlager wurde übrigens 2009 aus einer Auswahl von 111 Liedern zum beliebtesten Hit der „5. Jahreszeit“ gewählt. Ob wir 2021 in unserem neuen Kultur- und Bürgerzentrum erstmals diese „5. Jahreszeit“ feiern können? Die Verantwortlichen der Vereine denken darüber sicher schon intensiv nach und werden sich ihrer Verantwortung bewusst sein.
Bleiben Sie gesund!
Thomas Groll
Bürgermeister