Umsicht und Vorsicht müssen weiter unser Handeln bestimmen.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
heute gehören Handys oder Smartphones bereits für die Jüngsten einfach dazu. Waren in meiner Kindheit Adidas-Turnschuhe das Statussymbol schlechthin, so sind es heute ein Samsung Galaxy S20 oder ein Huawei P30. Gelbe Telefonzellen hingegen sind nicht nur meiner Tochter höchstens von alten Fotos bekannt. Die nachwachsende Generation kann gar nicht verstehen, dass es einmal eine Zeit gegeben haben soll, wo nicht jeder ein Mobiltelefon in der Hosentasche oder doch wenigstens einen Festnetzanschluss zu Hause hatte. Ich hingegen, Jahrgang 1970, habe diese Zeit noch vor Augen. Wenn ich mich recht erinnere, bekamen wir das erste Telefon als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war. Bis Anfang der 1980er Jahre konnte man übrigens neben vielen Telefonzellen ein Schild mit der Aufschrift „Nimm Rücksicht auf Wartende – Fasse dich kurz.“ lesen. Dies war der Tatsache geschuldet, dass es bis dahin keine Zeittaktung für Ortsgespräche gab. So mancher kam seinerzeit ins Tratschen und übersah dabei die sich vor der Telefonzelle bildende Schlange geflissentlich.
Der Ausspruch „Fasse dich kurz“ kam mir in den Sinn, als ich am Wochenende ein Plakat im Internet fand. Dieses bringt – wie ich finde – in elf Punkten die letzten Wochen der Corona-Krise prägnant auf den Punkt und gibt einen (hoffentlich nicht eintretenden) Ausblick auf die weitere Entwicklung:
- Woche: Schock
- Woche: Wir bleiben zusammen
- Woche: Solidarität
- Woche: Zusammenstehen
- Woche: Alle sind Helden
- Woche: Reicht langsam
- Woche: Lockerungen jetzt!
- Woche: Prof. Drosten ist an allem schuld
- Virologen-Diktatur
- Woche: 2. Welle
- Woche: Schock
Sieben Wochen mit Corona haben wir nun schon hinter uns. Wer hätte sich das Mitte März vorstellen können?
Aufgrund der Beschlüsse vom 30. April 2020 wurden nun einige der unser Leben bestimmenden Restriktionen aufgehoben bzw. gelockert. Wir können also ein paar kleine Schritte hin zur Normalität gehen. Machen wir uns aber nichts vor, es wird noch für eine lange Zeit eine veränderte Normalität sein (müssen).
Unser Ministerpräsident Volker Bouffier hat recht, wenn er mit Blick auf die aktuelle Lage folgendes sagte: „Die Pandemie ist noch lange nicht überstanden. Der Schutz der Gesundheit muss nach wie vor oberste Priorität haben. Wir halten Kurs und lockern Beschränkungen, wo es verantwortbar ist. Ein Wettbewerb zwischen den Ländern, wer am schnellstens die Rückkehr in die Normalität schafft, hilft keinem. Wir müssen schrittweise vorgehen.“
Und sein bayerischer Amtskollege Markus Söder ergänzte zutreffend: „Umsicht und Vorsicht müssen unser Handeln bestimmen. Erleichterungen dürfen die erzielten Erfolge nicht verspielen.“
In der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen“ konnte man am letzten Donnerstag unter der Überschrift „Groll hinter der Maske wächst“ einen Kommentar von Chefredakteur Andreas Lukesch lesen. Dieser vertrat darin die Auffassung, dass die kritischen Stimmen zum Fahrplan in und aus der Corona-Krise lauter und bestimmter würden. Dass das Vertrauen in Politik und Wissenschaft langsam, aber stetig nachlasse.
Noch belegen das die Zahlen der Demoskopen nicht. Gegenwärtig halten immer noch rund 70 % den eingeschlagenen Kurs für richtig, aber die Zustimmung lässt bereits etwas nach und es erscheint durchaus realistisch zu sein, dass die Ablehnung im Laufe der Zeit weiter ansteigt. Da die Fallzahlen – Gott sei Dank! - sinken, könnte der Ruf nach vollständiger Aufhebung der Restriktionen einen immer größeren Teil der Bevölkerung erfassen. Dann werden möglicherweise die Punkte 8 und 9 auf dem eingangs erwähnten Plakat in den Mittelpunkt der Diskussion rücken.
Die BILD und mancher Politiker tun gerade alles dafür, dass wir die wichtigen Erkenntnisse der zweiten („Wir bleiben zusammen“) und vierten Woche („Solidarität“) verdrängen. Dabei haben sie uns doch überhaupt erst dahin gebracht, dass es jetzt Lockerungen geben kann.
Für meinen Teil möchte ich gerne darauf verzichten, dass wir eine zweite Welle der Infektion bekommen, die dann sicher viel schlechter zu beherrschen wäre als die erste. Was meinen Sie?
Die von den Verantwortlichen in Bund und Ländern in diesen Wochen zu treffenden Abwägungen sind schwierig. Allen kann man dabei nicht gerecht werden. Das bisherige Vorgehen erscheint mir aber alternativlos zu sein.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschreibt die aktuelle Situation zutreffend, wenn er sagt: „Das vorsichtige, tastende Vorgehen bleibt richtig. Alle Erleichterungen müssen überprüft werden und im Zweifel umkehrbar sein. Der Druck steigt, die sozialen, psychischen und wirtschaftlichen Folgen werden immer deutlicher. Die Ungeduld wächst. Die Politik muss daher ihr Vorgehen regelmäßig erklären und die Bürger umfassend informieren.“
Für meinen Teil glaube ich, dass die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten ihr Bestes geben. Von den Wissenschaftlern würde ich mir manchmal eine größere Haltwertzeit ihrer Aussagen wünschen und eine größere Einigkeit, denn oftmals tragen die Herren Professoren derzeit mit zur Unsicherheit bei. Aber ich will einräumen, dass dies bei einem immer noch weitgehend unbekannten Virus recht schwierig ist.
Am letzten Samstag las ich einen Artikel des Berliner „Tagesspiegel“. Dort hieß es zunächst, dass bekanntermaßen vor allem die Über-50-jährigen und Vorerkrankte schwer und mitunter tödlich an Covid-19 erkrankten. Dann berief sich der Autor auf mehrere aktuelle Studien und stellte fest, dass Personen im Alter von 15-34 Jahren (insbesondere die 20- bis 24-jährigen) einen wachsenden Anteil am Anstieg der Sars-CoV-2 Inzidenz hätten. Sie hielten sich in vielen Fällen nicht so wie die Älteren an die Kontaktsperre und würden so zu „Treibern“ des Virus.
Gerade wenn jetzt die Restriktionen Schritt für Schritt aufgehoben werden, möchte ich „die Jüngeren“ bitten, sich ihrer Verantwortung für alle bewusst zu sein. Auch wenn sie selbst nicht erkranken, können sie das Virus dennoch weitertragen. Wie heißt es doch auf dem Plakat: „Solidarität“ und „Zusammenstehen“. Auch zukünftig sollte man daher die Abstands- und Hygieneregeln einhalten, damit es nicht zu Punkt 10 und 11 kommt und wir irgendwann sagen müssen „Das haben wir nicht gewusst, das haben wir so nicht gewollt“.
Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, nochmals allen in unserer Heimatstadt zu danken, die seit Mitte März dazu beigetragen, dass „der Laden“ – mit allen Einschränkungen – weiterläuft: in den Geschäften, bei der Post bzw. den Paketdiensten und den Banken, bei den Ärzten, in den Apotheken, bei der Physiotherapie oder im Seniorenheim, aber auch in der Stadtverwaltung, der Polizei, den Kindergärten und der Schule. Sollte ich einen Bereich vergessen haben, sehe man es mir bitte nach und fühle sich vom „Dankeschön“ mit umfasst.
Am heutigen Mittwoch soll nun entschieden werden, wie es mit den Kindergärten und den Schulen weitergeht. Dies interessiert mich natürlich als Bürgermeister, aber auch als Vater sehr. Es wird Zeit, dass es hier für Eltern, Lehrer und Erzieherinnen eine Perspektive gibt. Klar ist aber auch, dass es in diesen Bereichen wohl noch viele Monate keine Normalität geben dürfte.
In den Kindergärten müssen die Gruppen sicher kleiner werden. Wir werden über geänderte Betreuungszeiten und – modelle nachdenken müssen. Ich wünsche mir sehr, dass hier nicht nur „am grünen Tisch“ entschieden wird, sondern dabei die Realitäten vor Ort betrachtet werden. Die Aufsichtsbehörden müssen pragmatisch an die Sache herangehen. Wir sind dazu willens. Insbesondere werden wir den Betreuungsschlüssel für die Erzieherinnen ändern müssen, wenn es unser Ziel sein soll, im Laufe der nächsten Wochen möglichst viele Kinder in Kleingruppen wieder zu betreuen. Sobald wir mehr wissen, werden wir uns direkt an die Eltern wenden.
In der Schule ersetzen Videokonferenzen der Lehrer mit den Schülern zwar nicht den Präsenzunterricht, aber sie sind ein Weg das Lernen zu Hause besser zu strukturieren und auch ein wenig zu kontrollieren. Es ist interessant, der Tochter bei den ersten Versuchen mal kurz über die Schulter zu schauen.
Wie es mit Kindergärten und Schule weitergeht ist wichtig. Aber ist es wirklich notwendig, dass auch die Fußball-Bundesliga rasch wieder startet? Die wirtschaftliche Not der Vereine ist doch zumeist hausgemacht. Da werden mittelmäßige Fußballer für horrende Summen engagiert. Bekommen Millionengehälter, sitzen oftmals aber nur auf der Bank oder gar der Tribüne und ziehen nach spätestens zwei Jahren wieder weiter. Jeder Trainer muss einen Stab von acht, neun Co-Trainer, Analysten und Ernährungsberatern haben und fliegt – natürlich mit Millionenabfindung – nach zwei Niederlagen raus … Bin ich altmodisch oder in diesem Bereich zu sehr Romantiker, wenn ich an Fußballer wie Uwe Seeler, Berti Vogts, Wolfgang Overath, Karl-Heinz Körbel, Gerd Müller oder „Katsche“ Schwarzenbeck denke? Die waren vereinstreu und wurden so zu Idolen.
Heute ist im Fußball, aber nicht nur dort, vieles schnelllebiger geworden, aber besser geworden ist es dadurch noch lange nicht. Da wären wir übrigens wieder bei der Frage angelangt, was sich nach Corona in unserer Gesellschaft ändern sollte. Das wäre aber ein neues Thema …
Bleiben Sie gesund!
Thomas Groll
Bürgermeister