You´ll never walk alone…
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
vor der coronabedingten Zwangspause lag der von Jürgen Klopp trainierte FC Liverpool in der Tabelle der Premiere League fünfundzwanzig Punkte vor der zweitplatzierten Mannschaft und schickte sich an, erstmals seit 1990 wieder englischer Fußballmeister zu werden. Wenn im Stadion der „Roten“, der „Anfield Road“, zu Beginn eines Spieles aus zehntausenden Kehlen der Song „You´ll never walk alone“ erklingt, ist stets für Gänsehautmomente gesorgt.
Nun hat es Tom Moore mit seiner Version der berühmten Fußball-Hymne an die Spitze der Hitlisten in Großbritannien geschafft. Vielleicht haben Sie davon gehört oder gelesen. Das Besondere daran ist, dass der ehemalige Soldat in wenigen Tagen einhundert Jahre alt wird. Der Veteran hat den Song für einen guten Zweck aufgenommen und seine Single bereits über 80.000 Mal verkauft. Alle Einnahmen spendet Moore dem nationalen Gesundheitsdienst.
Das Musikstück „You´ll never walk alone“ erklingt eigentlich zum Finale des im April 1945 uraufgeführten Broadway-Musicals „Carousel“. Der Liedtext handelt davon, vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken. Welche wichtige Botschaft unmittelbar vor Kriegsende!
Am 8. Mai 1945 endete der II. Weltkrieg in Europa. Fast siebzig Millionen Menschen starben auf den Schlachtfeldern, im Bombenhagel oder auf der Flucht. Der II. Weltkrieg ist zweifellos die Tragödie des 20. Jahrhunderts.
Der Entertainer Frank Sinatra sang seinerzeit als Erster dieses inzwischen weltbekannte Lied. In dessen erster Strophe es übersetzt heißt:
„Wenn Du durch einen Sturm gehst, halte deinen Kopf oben und fürchte dich nicht vor der Dunkelheit. Am Ende des Sturms ist ein goldener Himmel und das süße, silberhelle Lied einer Lerche. … Du wirst niemals alleine gehen.“
Ein wenig Vertrauen in die Zukunft sollten wir alle auch in diesen Tagen trotz der bekannten Einschränkungen, Nöte und teilweise materiellen Sorgen haben.
Vor fünfundsiebzig Jahren beklagten unsere Eltern und Großeltern den Tod lieber Menschen aufgrund des Kriegsgeschehens. Sie hatten zum Teil Haus und Hof durch Luftangriffe oder Vertreibung verloren. Besaßen dann oftmals nicht mehr, als in einen Koffer passt. Wer nicht über eine kleine Landwirtschaft verfügte, wusste, dass Hunger etwas ganz anderes ist als eine Diät. Das war wirkliche Not.
Gleichwohl verzweifelten sie nicht. Sie haben angepackt und wieder aufgebaut. Dies gelang ihnen auch deshalb, weil sie bereit waren, auf eine bessere Zukunft zu vertrauen – eine bessere Zukunft für sich selbst und das vom Krieg zerstörte Land, in dem sie lebten.
Zu dieser Haltung passt ein Wort von Thomas Jefferson, einem der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika: „Mir gefallen die Träume der Zukunft besser, als die Geschichten der Vergangenheit.“
Die Bundesrepublik Deutschland ist – bei allen nicht wegzuredenden Unzulänglichen und Ungerechtigkeiten – über sieben Jahrzehnte hinweg ein „Erfolgsmodell“. Daran hat nicht zuletzt die Generation des Wiederaufbaues entscheidenden Anteil.
Seien wir doch bitte einmal ehrlich: Es gibt fast zweihundert Staaten auf der Welt, aber wir können doch mit den zehn Fingern unserer beiden Hände jene wenigen davon abzählen, wo die Menschen freier und sozial gesicherter leben als bei uns in Deutschland.
Ich verwende gerne das Beispiel eines Staffellaufes, um die Aufgabe meiner und der nachfolgenden Generationen zu beschreiben. Es ist nun an uns, den Stab in die Hand zu nehmen und unsere Runde ebenfalls engagiert anzugehen.
Wie heißt es doch in Goethes „Faust“: „Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Ohne eigenes Zutun bleiben Freiheit und Wohlstand allerdings nicht bestehen.
Es darf uns nicht so ergehen, wie der Lübecker Kaufmannsfamilie im Gesellschaftsroman „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann: Die erste Generation baute das Geschäft auf. Die zweite erhielt und erweiterte es. Die dritte aber lebte zwar in Saus und Braus, richtete das Ererbte damit letztlich zu Grunde.
Natürlich dürfen wir nicht alles fraglos von den Vorfahren übernehmen, müssen eigene Wege gehen und Erfahrungen sammeln. Selbstredend dürfen, ja müssen wir sogar Veränderungen vornehmen, um den Herausforderungen der Zeit gerecht zu werden. Wir können dabei aber darauf vertrauen, dass das Fundament unseres Zusammenlebens– Demokratie, Rechtsstaat, Soziale Marktwirtschaft – nach wie vor tragfähig ist.
Wir dürfen uns allerdings nicht darauf verlassen, dass Artikel 3 des „kölschen Jrundjesetzes“- „Et hätt noch emmer joot jejange“ – in allen Fällen des Lebens zutrifft, sondern müssen selbst etwas dafür tun, dass unser freiheitlich verfasstes Gemeinwesen Bestand hat – so wie es die beiden Generationen vor uns auch getan haben. Ein Gedanke, der mir fünfundsiebzig Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges besonders wichtig ist. Demokratie lebt nämlich von aktiven Demokraten.
Beim Niederschreiben dieses Gedankens kommt mir das Wort des 1963 in Dallas ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy in den Sinn: „Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst.“ Land kann man übrigens durch Heimatstadt, Verein oder Familie ersetzen. Der Sinn bleibt immer gleich. Nicht nur erwarten, sondern auch etwas geben.
Die Corona-Krise ist mit einem Krieg, auch wenn dies Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache kürzlich so sagte, nicht zu vergleichen. Gleichwohl ist sie nicht nur für uns Deutsche die größte wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung seit 1945. Solche Einschnitte in die Freiheit des Einzelnen, in die Ausübung der Religion oder das Wirtschaftsleben hat es bisher noch nie gegeben.
Darauf kann man sehr unterschiedlich reagieren: Man kann schimpfen und kritisieren, den Kopf wie der Vogel Strauß in den Sand stecken und hoffen, dass die Krise bald vorübergeht oder aber eben versuchen seinen Teil zu deren Bewältigung beizutragen und sei er noch so klein.
Wie heißt es doch in einem afrikanischen Sprichwort: „Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können sie die Welt verändern.“
Ich bin mir sicher, dass wir die Herausforderung dieser Tage am besten bestehen, wenn wir zusammenstehen und mit etwas Vertrauen in die Zukunft blicken.
Dies ist doch beim Fußball nicht anders. Der FC Liverpool war über drei Jahrzehnte hinweg oftmals nur Mittelmaß, an den Gewinn der englischen Meisterschaft oder gar – wie 2019 geschehen - der Champions League war überhaupt nicht zu denken. Aber auch in diesen Zeiten hieß es an der „Anfield Road“ trotzdem: „You´ll never walk alone.“ Die Fans standen auch in diesen Zeiten treu zu ihrer Mannschaft.
In Erfolgen kann sich nämlich jeder sonnen. Wahrer Zusammenhalt zeigt sich erst in schwierigen Zeiten und Situationen.
Natürlich kann – und muss – man in einer Demokratie Fragen stellen und über den richtigen Weg strittig diskutieren dürfen. Das Handeln der Regierung muss dabei jederzeit durch das Parlament kontrolliert und korrigiert werden können. Eine freie Presse hat ihre „Wächterfunktion“ wahrzunehmen. Aber es ist doch schon etwas seltsam: Die Welt blickt auf Deutschland und zollt der Bundeskanzlerin große Anerkennung für ihr bedachtes Vorgehen und bei uns im Lande wird vieles davon einfach nur kritisiert oder man verfällt schon wieder in Populismus. Tendenzen, die in den letzten Tagen leider zuzunehmen scheinen. Am Ende gewinnt aber nicht der, der am lautesten schreit oder scheinbar das meiste verspricht, sondern der, der den längsten Atem hat und das entscheidende Tor schießt. Dass ist in der Politik nicht anders als im Fußball.
Was muss man momentan nicht alles hören: Frau Merkel schüre nur Angst. Wer, wie sie, in einem totalitären Regime – der DDR – aufgewachsen sei, sperre die Menschen eben am liebsten ein …
Alles Blödsinn. Die Kanzlerin und die meisten Ministerpräsidenten gehen vielmehr mit Bedacht vor. Ich bin mir sicher, dass sie sehr genau um die Sorgen und Ängste der Menschen wissen. Dass sie gerne rasch wieder fröhliche Feste, Gottesdienstbesuche und sportliche Aktivitäten ermöglichen würden, dass sie um die Bedeutung einer boomenden Wirtschaft ebenso wissen, wie um die beginnenden finanziellen Nöte zahlreicher Menschen, Unternehmen und Kommunen. Sie wissen aber eben heute noch nicht, wie sich die ersten Lockerungen von Mitte April tatsächlich auswirken und ob es nicht eine zweite, vielleicht weit schlimmere Infektionswelle geben könnte. Sie wollen keiner trügerischen Ruhe vertrauen. Sie müssen dabei ihr Handeln zu großen Teilen auf die Aussagen der Wissenschaft aufbauen, die sich aber erkennbar über die Vorgehensweise auch nicht einig ist.
Am 30. April und 6. Mai, wenn die Verantwortlichen von Bund und Ländern wieder beraten wollen, wird man wohl schon einiges klarer sehen und darauf aufbauend handeln können. Wir brauchen also - auch wenn es schwerfällt – weiterhin Disziplin und Geduld. Ich vertraue – wie auch die große Mehrheit der Bevölkerung – weiterhin darauf, dass es gelingt einen Kompromiss zwischen maximaler Sicherheit und vertretbarem Risiko zu finden.
Als Bürgermeister, das gebe ich gerne zu, treffe ich Entscheidungen durchaus auch einmal nach dem Bauchgefühl und habe das bisher nicht bereut. Oftmals geht es mir bei der Umsetzung von Projekten zu langsam vorwärts. Das Corona-Virus und seine Bewältigung haben aber eine ganz andere Dimension. Hier übe auch ich mich notgedrungen in Geduld.
Seit Montag sind wir nun mit Alltagsmasken unterwegs. In den vergangenen Wochen wurde viel über das Für und Wider dieser Maßnahme gesprochen. Nun haben sich die Bundesländer dafür entschieden. Meine Bitte: Machen Sie mit. Jeder kleine Schritt auf dem Weg zur Überwindung der Pandemie sollte genutzt werden. Machen Sie es Ladenbesitzern und Ordnungsbehörden nicht unnötig schwer.
Als Eltern schauen wir natürlich mit besonderem Interesse darauf, wann und wie die Schulen wieder öffnen. Anderen wird es genauso gehen wie uns: Man ist hin und hergerissen und weiß nicht genau, was richtig ist. Die gefundene Lösung mit einigen Klassen, gerade auch in der Grundschule, zu beginnen und dann Schritt für Schritt weitere hinzuzunehmen, fand ich von vielen schlechten Lösungen noch die Beste. Schade, dass der Verwaltungsgerichtshof dies anders sieht.
In den kommenden Monaten kommt auf uns vor Ort noch eine weitere Herausforderung zu: Die Querallee, ein verkehrliches Nadelöhr, wird grundhaft saniert. Die damit eingehende Vollsperrung wird zu Belastungen – und sicher auch Kritik – an anderen Stellen führen. Das ist den Verantwortlichen bewusst, aber nicht für alle Aufgaben gibt es Lösungen, die allen gerecht werden. Hierfür kann ich die temporär Betroffenen nur um Verständnis bitten.
Wir werden noch herausfordernde Wochen und vielleicht sogar Monate vor uns haben. Denken wir daran: „You‘ ll never walk alone.“ Bleiben wir zusammen, dann erreichen wir das Ziel.
Bleiben Sie gesund!
Thomas Groll
Bürgermeister