Zum Jahreswechsel
Man nehme 12 Monate,
putze sie ganz sauber von Bitterkeit,
Geiz, Pedanterie und Angst,
und zerlege jeden Monat in 30 oder 31 Teile,
so dass jeder Vorrat genau ein Jahr reicht.
Es wird ein jeder Tag einzeln angerichtet
aus einem Teil Arbeit
und zwei Teilen Frohsinn und Humor.
Man füge drei gehäufte Esslöffel Optimismus hinzu,
einen Teelöffel Toleranz,
ein Körnchen Ironie und eine Prise Takt.
Dann wird das Ganze sehr reichlich mit Liebe übergossen.
Das fertige Gericht schmücke man
mit einem Sträußchen kleiner Aufmerksamkeiten
und serviere es täglich mit Heiterkeit!
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
wir wünschen Ihnen und Ihren Familien ein gesundes, gutes und frohes neues Jahr 2019!
Wenn Sie sich an obiges „Rezept zu Neujahr“ halten, dann wird es bestimmt gelingen.
Die Zeilen sind rund zweihundertfünfzig Jahre alt und stammen von Catharina Elisabeth Goethe (1731-1808). Angeblich soll sie den Text um 1770 für ihren Sohn, den „Dichterfürsten“ Johann Wolfgang, verfasst haben. „Frau Aja“, so ihr Kosename, entstammte der angesehenen Familie Textor. Ihr Vater war als Stadtschultheiß seinerzeit der ranghöchste Justizbeamte der Stadt Frankfurt a. M.. Sie selbst wird als eine geistreiche und warmherzige Frau beschrieben. Alle Quellen heben ihre Fähigkeit hervor, dem Leben stets das Beste abzugewinnen. Ihr berühmter Sohn schrieb einmal über sie „Vom Vater hab´ ich die Statur, des Lebens ernstes Führen. Vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu Fabulieren.“
Bemerkenswert finden wir den Rat von „Mutter Goethe“ drei gehäufte Esslöffel Optimismus zum Gelingen des neuen Jahres hinzuzufügen. Optimismus, eine Grundhaltung, die heute bei vielen in unserem Land nicht mehr vorhanden zu sein scheint.
Wie war dies vor siebzig Jahren? Blicken wir doch einmal gemeinsam in das Jahr 1948 zurück.
Drei Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges waren die großen deutschen Städte zerstört, Millionen von Vertriebenen suchten eine neue Heimat, hunderttausende Soldaten der Wehrmacht befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft, die Währungsreform in den drei westlichen Besatzungszonen und die Berlin-Blockade durch die Sowjetunion zementierten die Teilung Deutschlands. Eines Staates, der auf der Landkarte seinerzeit überhaupt nicht mehr existierte.
Was mögen die Menschen damals zu Weihnachten verschenkt haben? Was waren ihre Wünsche am Silvesterabend? Hatten sie resigniert oder glaubten sie an eine bessere Zukunft?
Fragen, die wir ruhig einmal den Älteren unter uns stellen sollten, denn von den Antworten könnten wir durchaus etwas lernen. Seinerzeit lamentierten die Menschen nicht, sondern sie packten an und bauten das zerstörte Land wieder auf. Sie glaubten an sich und ihre Fähigkeiten.
Nur wenige Monate später, im Mai 1949, wurde das Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat in Bonn verabschiedet – die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Im August fand dann die erste Bundestagswahl statt und wenige Wochen später wurden Theodor Heuß Bundespräsident und Konrad Adenauer Bundeskanzler.
Die Erfolgsgeschichte unseres Landes nahm ihren Lauf: Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Fußballweltmeister 1954, Aussöhnung mit den Kriegsgegnern in West und Ost, Wiedervereinigung sind nur einige der Meilensteine in den letzten sieben Jahrzehnten.
Möglich geworden sind sie nicht zuletzt durch den Optimismus der Handelnden.
2019 feiern wir nun „70 Jahre Grundgesetz“. Wir können dies mit großer Dankbarkeit tun. Deutschland hat sich gut entwickelt. Natürlich gibt es auch bei uns Probleme und Herausforderungen und nicht alle leben auf der Sonnenseite, aber wahr ist doch auch, dass es uns insgesamt wirtschaftlich gut geht. Wir leben seit über siebzig Jahren in Frieden mit unseren Nachbarn und seit drei Jahrzehnten leben alle Deutschen in Freiheit. Unsere Kinder haben hervorragende Möglichkeiten. Die meisten Länder beneiden uns um diese Entwicklung. Um den 23. Mai 2019 herum müsste es eigentlich im ganzen Land „Bürgerfeste“ und Festveranstaltungen geben, um das Jubiläum würdig und mit Freude zu begehen.Und was ist tatsächlich vielerorts im Lande los? Resignation, Unzufriedenheit, Pessimismus.
Ja, die „große“ Politik liefert derzeit kein allzu gutes Bild ab, aber dies darf doch den Blick für das Wesentliche nicht verdunkeln. Wir können doch mehr berechtigten Optimismus an den Tag legen. Nicht immer nur jammern, sondern auch einmal das Positive sehen und benennen. Nicht nur miesmachen, sondern mitmachen. Dazu möchten wir Sie alle einladen, ja auffordern. Es liegt nicht nur „an denen in Berlin“, es liegt auch an uns, wie es in unserem Land weitergeht.
Und noch eine weitere Zutat für ein gutes Miteinander hat Catharina Elisabeth Goethe genannt: Toleranz. Es müssen nicht alle so sein, wie wir es uns wünschen. Jeder kann seine eigenen Schwerpunkte setzen. Es kommt aber darauf an, dass alle, die in Deutschland leben, unser Grundgesetz und die sich daraus ergebende Werteordnung respektieren und ihr Handeln danach ausrichten.
Als Stadt Neustadt (Hessen) wollen wir 2019 übrigens unser Verfassungsjubiläum im Rahmen unserer zeitgeschichtlichen Veranstaltungsreihe würdigen und damit auch das Grundgesetz und seine Kernaussagen wieder etwas mehr in den Blickpunkt rücken.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, auch im neuen Jahr kommen wir weiter mit Geduld, Beharrlichkeit und Selbstvertrauen. Deshalb danken wir allen, die tagtäglich ihren Beitrag leisten für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für Ausgleich, für Fortschritt, für Offenheit.
Wir danken allen, die sich in Neustadt, Mengsberg, Momberg und Speckswinkel in vielfältiger Weise und unterschiedlichen Bereichen ehrenamtlich engagieren und ermutigen sie dazu, ihre wichtige Arbeit fortzusetzen.
Ihnen allen nochmals alles Gute für die kommenden zwölf Monate. Bleiben Sie gesund. Nehmen Sie Anteil daran, was in unserer Heimatstadt geschieht. Gehen Sie mit Optimismus zu Werke.
Neustadt (Hessen), im Januar 2019
Thomas Groll Franz-W. Michels
Bürgermeister Stadtverordnetenvorsteher